SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
erwiderte er.
Das brutzelnde Fleisch des Tiers roch wie Seehundfleisch.
Kurze Zeit später, während Trull Sengar aß, trat Onrack an die Kante der Mauer, die zum Marschland zeigte. Die Wasserfluten hatten alte Senken in der Landschaft gefunden, von denen nun Gase aufstiegen und in blassen Schwaden über der dicken, sickernden Oberfläche trieben. Noch dichterer Nebel verhüllte den Horizont, doch der T’lan Imass hatte den Eindruck, als könnte er Erhebungen spüren, eine Reihe niedriger, buckliger Hügel.
»Es wird heller«, sagte Trull Sengar, der noch immer neben der Feuerstelle lag. »Der Himmel glüht an einigen Stellen. Da … und da.«
Onrack hob den Kopf. Der Himmel war ein einziges Meer aus Zinn gewesen, das sich nur gelegentlich einmal verdunkelt hatte, um einen sintflutartigen Regen herabprasseln zu lassen, wobei das in letzter Zeit immer seltener vorgekommen war. Aber jetzt waren Risse aufgetaucht – Risse mit ausgefransten Rändern. Eine aufgedunsene Kugel aus gelbem Licht beherrschte einen ganzen Horizont, und die Mauer vor ihnen schien direkt auf sie zuzulaufen. Direkt über ihnen hing ein kleinerer Kreis aus verwaschenem Feuer, der blau eingefasst war.
»Die Sonnen kehren zurück«, murmelte der Tiste Edur. »Hier, im Entstehenden, leben die uralten Zwillingsherzen von Kurald Emurlahn weiter. Das wissen wir erst, seit wir dieses Gewirr wiederentdeckt haben – nachdem der Durchbruch entstanden war. Die Fluten müssen das Klima ins Chaos gestürzt haben. Und die Zivilisation zerstört haben, die hier existiert hat.«
Onrack blickte nach unten. »Waren es Tiste Edur?«
Trull Sengar schüttelte den Kopf. »Nein, sie haben eher wie eure Nachfahren ausgesehen, Onrack. Obwohl die Leichen, die wir hier entlang der Mauer gefunden haben, alle schon ziemlich verwest waren.« Er verzog das Gesicht. »Sie sind wie Ungeziefer, diese menschlichen Wesen … die von euch abstammen.«
»Nicht von mir«, erwiderte Onrack.
»Dann verspürst du keinen Stolz angesichts ihres faden Erfolgs?«
Der T’lan Imass legte den Kopf schief. »Sie neigen dazu, Fehler zu begehen, Trull Sengar. Die Logros haben Tausende von ihnen getötet, als es erforderlich war, um die Ordnung wiederherzustellen. Doch noch weit häufiger löschen sie sich selbst aus, denn der Erfolg verführt dazu, genau jene Qualitäten zu missachten, die ihn erst möglich gemacht haben.«
»Es hat den Anschein, als hättest du dir darüber einige Gedanken gemacht.«
Onrack zuckte die Schultern, seine Knochen klapperten. »Vielleicht mehr als meine Verwandten. Meine Verärgerung über die Menschheit bleibt jedenfalls bestehen.«
Der Tiste Edur versuchte aufzustehen. Seine Bewegungen waren langsam und bedächtig. »Das Entstehende bedurfte einer … Säuberung«, sagte er in bitterem Tonfall. »Zu diesem Urteil war man jedenfalls gekommen.«
»Eure Methoden sind extremer als die, derer sich die Logros bedienen würden«, sagte Onrack.
Trull Sengar, der jetzt schwankend auf den Beinen stand, blickte den T’lan Imass mit einem gequälten Grinsen an. »Manchmal erweist sich das, was man begonnen hat, als zu mächtig, um es im Zaum zu halten, mein Freund.«
»Das ist der Fluch des Erfolges.«
Trull schien bei diesen Worten zusammenzuzucken, und er drehte sich um. »Ich muss unbedingt frisches, sauberes Wasser finden.«
»Wie lange warst du angekettet?«
Der Tiste Edur zuckte die Schultern. »Lange, nehme ich an. Die Zauberei, die mit dem Scheren verbunden war, sollte mein Leiden verlängern. Dein Schwert hat ihre Macht durchtrennt, und nun kehren die weltlichen Bedürfnisse des Fleisches zurück.«
Die Sonnen brannten durch die Wolken, und ihre Hitze ließ die Luft immer feuchter werden. Die Bewölkung löste sich auf, verschwand vor ihren Augen. Onrack musterte die glühenden Feuerbälle erneut. »Es hat keine Nacht gegeben«, sagte er.
»Im Sommer nicht, nein. Es heißt, dass es im Winter ganz anders ist. Andererseits … nach der Sintflut wird es nichts fruchten, die Zukunft vorherzusagen. Und ich persönlich hege auch gar nicht den Wunsch, herauszufinden, was geschehen wird.«
»Wir müssen diese Mauer verlassen«, sagte der T’lan Imass nach einer Weile.
»Stimmt. Bevor sie endgültig zusammenbricht. Ich glaube, ich kann in der Ferne Hügel erkennen.«
»Schling die Arme um mich, wenn du genug Kraft dazu hast«, schlug Onrack vor. »Ich werde hinunterklettern. Wir können die Senken umgehen. Wenn irgendwelche einheimischen Tiere
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