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SdG 06 - Der Krieg der Schwestern

SdG 06 - Der Krieg der Schwestern

Titel: SdG 06 - Der Krieg der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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hatte.
    Und er konnte die grauhäutigen Tiste Edur tatsächlich riechen – sie waren erst vor kurzem diesen Weg entlanggegangen, nachdem sie aus einem anderen Gewirr hierher gekommen waren. Natürlich hatte der Begriff »Geruch« nach dem Ritual bei den T’lan Imass eine neue Bedeutung gewonnen. Ihre weltlichen Sinne waren größtenteils zusammen mit dem Fleisch vergangen. Durch die beschatteten Höhlen von Onracks Augen betrachtet, war die Welt zum Beispiel eine komplexe Collage aus dumpfen Farben, Hitze und Kälte und wurde oft durch eine untrügliche Wahrnehmungsfähigkeit für Bewegung beurteilt. Gesprochene Worte wirbelten in quecksilbrigen Wolken aus Atem – das heißt, wenn der Sprecher lebte. Wenn nicht, war das Geräusch an sich feststellbar, wie es durch die Luft zitterte. Onrack nahm Geräusche ebenso durch Sehen wahr wie durch Hören.
    Und so kam es, dass er einer warmblütigen Gestalt gewahr wurde, die ein kurzes Stück voraus lag. Die Mauer gab hier allmählich nach. Wasser schoss in Strömen aus Rissen und Spalten zwischen den vorgewölbten Steinen. Binnen kurzer Zeit würde sie endgültig bersten.
    Die Gestalt bewegte sich nicht. Sie war angekettet worden.
    Noch einmal fünfzig Schritte, und Onrack hatte sie erreicht.
    Der Geruch von Kurald Emurlahn war überwältigend – schwach sichtbar, wie ein Teich, der die auf dem Rücken liegende Gestalt einhüllte, wobei sich die Oberfläche wie unter gleichmäßigem, doch feinem Regen kräuselte. Eine tiefe, zackige Narbe verunstaltete die breite Stirn des kahl geschorenen Gefangenen, und der Schimmer von Zauberei ging von der Wunde aus. Die Zunge des Mannes war ursprünglich von einer metallischen Zunge festgehalten worden, doch letztere war nicht mehr vorhanden, genausowenig wie die Lederriemen, die um den Kopf der Gestalt gewunden gewesen waren.
    Schiefergraue Augen starrten ohne zu blinzeln zu dem T’lan Imass hoch.
    Onrack musterte den Tiste Edur noch einen Moment länger, dann trat er über den Mann hinweg und ging weiter.
    Hinter ihm erklang eine raue, krächzende Stimme. »Warte.«
    Der untote Krieger blieb stehen und blickte zurück.
    »Ich … ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen. Für meine Freiheit.«
    »Ich bin nicht an Geschäften interessiert«, erwiderte Onrack in der Sprache der Edur.
    »Hast du denn keine Wünsche, Krieger?«
    »Keine, die du mir erfüllen könntest.«
    »Forderst du mich dann heraus?«
    Onrack neigte den Kopf. Sehnen knirschten. »Dieser Teil der Mauer wird bald zusammenbrechen. Ich verspüre nicht den Wunsch, noch hier zu sein, wenn das geschieht.«
    »Und du glaubst, dass ich diesen Wunsch verspüre?«
    »Über deine Gefühle in dieser Angelegenheit nachzudenken wäre für mich eine sinnlose Anstrengung, Edur. Ich habe kein Interesse daran, mir vorzustellen, ich wäre an deiner Stelle. Warum sollte ich auch? Du wirst schon bald ertrinken.«
    »Zerbrich meine Ketten, und wir können diese Diskussion an einem sichereren Ort fortsetzen.«
    »Die Qualität der Diskussion lohnt eine derartige Tat nicht«, erwiderte Onrack.
    »Ich würde sie verbessern, wenn ich Zeit hätte.«
    »Das erscheint mir unwahrscheinlich.« Onrack wandte sich ab.
    »Warte! Ich kann dir etwas über deine Feinde erzählen!«
    Langsam drehte der T’lan Imass sich erneut um. »Meine Feinde? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich gesagt habe, ich hätte welche, Edur.«
    »Oh, aber du hast welche. Ich muss es wissen. Ich war einst einer von ihnen, und das ist auch der Grund, warum du mich hier findest, denn ich bin nicht mehr dein Feind.«
    »Dann giltst du jetzt bei deinem Volk als Abtrünniger«, bemerkte Onrack. »Ich habe kein Vertrauen zu Verrätern.«
    »Ich bin kein Verräter an meinem Volk, T’lan Imass. Dieses Attribut gebührt demjenigen, der mich hier angekettet hat. Wie auch immer, die Frage des Vertrauens lässt sich nicht durch Verhandeln klären.«
    »War es klug, dieses Eingeständnis zu machen, Edur?«
    Der Mann verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Warum nicht? Ich würde dich nicht täuschen.«
    Jetzt war Onrack wirklich neugierig. »Warum würdest du mich nicht täuschen?«
    »Aus demselben Grund, aus dem ich geschoren wurde«, erwiderte der Edur. »Ich werde von dem dringenden Bedürfnis geplagt, immer die Wahrheit zu sagen.«
    »Das ist ein schrecklicher Fluch«, sagte der T’lan Imass.
    »Ja.«
    Onrack hob sein Schwert. »In diesem Fall muss ich zugeben, dass ich ebenfalls unter einem Fluch leide. Er heißt

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