SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Neugier.«
»Ich weine um dich.«
»Ich sehe keine Tränen.«
»In meinem Herzen, T’lan Imass.«
Ein einziger Hieb zerschmetterte die Ketten. Mit seiner freien rechten Hand griff Onrack nach unten, packte den Edur an einem Knöchel und zog ihn auf der Mauerkrone entlang hinter sich her.
»Ich würde über diese unwürdige Lage fluchen«, sagte der Tiste Edur, während er Schritt um schlurfenden Schritt weitergezogen wurde, »wenn ich die Kraft dazu hätte.«
Onrack antwortete nicht. In der einen Hand den Mann hinter sich herziehend, in der anderen sein Schwert, stapfte er weiter und ließ schließlich den Teil der Mauer hinter sich, der zusammenzubrechen drohte.
»Du kannst mich jetzt loslassen«, keuchte der Tiste Edur.
»Kannst du gehen?«
»Nein, aber – «
»Dann werden wir so weitermachen.«
»Wo gehst du denn hin, dass du nicht einmal so lange warten kannst, bis ich meine Kraft wiedererlangt habe?«
»Diese Mauer entlang«, erwiderte der T’lan Imass.
Eine Weile herrschte Schweigen, nur unterbrochen vom Knirschen von Onracks Knochen, dem Rascheln seiner lederumwickelten Füße, und den Geräuschen, die der Rumpf und die Glieder des Tiste Edur machten, während er über die schlammverkrusteten Steine gezogen wurde. Zu ihrer Linken lag weiterhin das von Treibgut gefüllte Meer, zu ihrer Rechten das verfaulende Marschland. Sie kamen an einem weiteren Dutzend Welsen vorbei. Diese hier waren nicht ganz so groß, doch sie hatten ebensolche Gliedmaßen wie die andere Gruppe. Hinter den Tieren erstreckte sich die Mauer ohne Unterbrechung bis zum Horizont.
Als sich der Tiste Edur schließlich wieder zu Wort meldete, war seine Stimme schmerzerfüllt. »Noch ein bisschen weiter so … T’lan Imass … und du ziehst einen Leichnam hinter dir her.«
Onrack dachte einen Augenblick über diese Worte nach, dann blieb er stehen und ließ den Knöchel des Mannes los. Langsam drehte er sich um.
Stöhnend rollte der Tiste Edur sich auf die Seite. »Ich nehme an«, keuchte er, »du hast nichts zu essen … und auch kein frisches Wasser.«
Onrack hob den Kopf, blickte zurück zu den Buckeln der Welse, die bereits ein Stück hinter ihnen lagen. »Ich vermute, ich könnte etwas besorgen. Vom Ersteren, heißt das.«
»Kannst du ein Portal öffnen, T’lan Imass? Kannst du uns aus dieser Sphäre bringen?«
»Nein.«
Der Tiste Edur ließ den Kopf auf den Lehm sinken und schloss die Augen. »Dann bin ich auf jeden Fall so gut wie tot. Nichtsdestotrotz danke ich dir dafür, dass du meine Ketten zerbrochen hast. Du brauchst nicht hier zu bleiben. Ich wüsste allerdings gerne den Namen des Kriegers, der mir so viel Erbarmen geschenkt hat.«
»Onrack. Clanlos, von den Logros.«
»Ich bin Trull Sengar. Ebenfalls clanlos.«
Onrack starrte einige Zeit auf den Tiste Edur hinunter. Dann stieg der T’lan Imass über den Mann hinweg und marschierte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er kam wieder zu den Welsen. Ein einziger Abwärtshieb köpfte denjenigen, der ihm am nächsten war.
Dies versetzte die anderen in Raserei. Haut riss auf, geschmeidige und viergliedrige Körper bahnten sich den Weg ins Freie. Breite, mit nadelspitzen Fängen versehene Köpfe wandten sich dem untoten Krieger in ihrer Mitte zu, winzige Augen glitzerten. Lautes Fauchen von allen Seiten. Die Tiere bewegten sich auf kurzen, muskulösen Beinen, die dreizehigen Füße hatten kräftige Ballen und Klauen. Ihre Schwänze waren kurz, liefen in einer senkrechten Finne auf dem Rückgrat aus.
Sie griffen an, wie Wölfe eine verwundete Beute angegriffen hätten.
Die Obsidianklinge blitzte auf. Dünnes Blut spritzte auf die Mauer. Köpfe und Gliedmaßen flogen durch die Luft.
Eine der Kreaturen sprang in die Höhe, das große Maul schloss sich über Onracks Schädel. Als das volle Gewicht sich auf ihn legte, spürte der T’lan Imass, wie seine Halswirbel knirschten. Er fiel auf den Rücken, ließ zu, dass das Tier ihn zu Boden zog.
Dann löste er sich in Staub auf.
Und erhob sich fünf Schritte entfernt, um weiter zu töten, kämpfte sich durch die fauchenden Überlebenden. Wenig später waren sie alle tot.
Onrack packte eine der toten Kreaturen an den Hinterbeinen und machte sich, den Kadaver hinter sich herschleifend, auf den Weg zurück zu Trull Sengar.
Der Tiste Edur lag auf der Seite, auf einen Ellbogen gestützt. Seine ausdruckslosen Augen waren fest auf den T’lan Imass gerichtet. »Einen Augenblick lang habe ich gedacht,
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