SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Kalam klar, stand selbst unter Belagerung – und der Feind musste erst noch kommen. Sha’ik hatte den Wirbelwind nah an sich herangezogen, eine Strategie, die nach Ansicht des Assassinen auf ein gewisses Maß an Furcht hindeutete. Es sei denn, natürlich, Sha’ik tat ganz bewusst vollkommen unerwartete Dinge. Vielleicht versuchte sie auch nur einfach, Tavore in eine Falle zu locken, in die Raraku hinein, wo ihre Macht am größten war und ihre Streitkräfte sich im Gegensatz zu denen ihrer Feinde auskannten.
Aber es gibt in Tavores Armee zumindest einen Mann, der die Raraku kennt. Und es wäre verdammt noch mal angebracht, dass er den Mund aufmacht, wenn die Zeit kommt.
Mittlerweile war es Nacht geworden, am Himmel über ihm glitzerten Sterne. Kalam marschierte weiter. Schwer mit einem Packen voller Vorräte und Wasser beladen, schwitzte er auch in der sich abkühlenden Nachtluft weiter. Als er die Kuppe eines weiteren Hügels erreichte, konnte er knapp unterhalb des zackigen Horizonts den Feuerschein ausmachen, der vom Lager der Belagerer herrührte. An der Klippe selbst war kein Licht zu erkennen.
Er ging weiter.
Es war bereits heller Vormittag, als er im Lager ankam. Zelte, Wagen, mit Steinen eingefasste Feuergruben, alles war willkürlich in einem groben Halbkreis vor der hoch aufragenden Felsenklippe mit der rauchgeschwärzten Festung aufgebaut. Abfallhaufen umgaben das Areal nebst überquellenden Latrinen, die in der Hitze stanken. Kalam musterte, was da vor ihm lag. Er schätzte, dass ungefähr fünfhundert Belagerer hier waren, viele von ihnen hatten – wenn man sich ihre Uniformen ansah – ursprünglich zu den malazanischen Garnisonen gehört, auch wenn sie Einheimische waren. Es hatte seit einiger Zeit keinen Angriff mehr gegeben. Behelfsmäßige hölzerne Belagerungs-Türme warteten etwas abseits an der Seite.
Er war bemerkt worden, wurde aber nicht angerufen, wie überhaupt kaum jemand von ihm Notiz zu nehmen schien, als er den Rand des Lagers erreichte. Ein Kämpfer mehr, der gekommen war, um Malazaner zu töten. Er hatte seine eigenen Vorräte bei sich, stellte damit sicher, dass er niemandem zur Last fallen würde, und war somit willkommen.
Wie der Händler in G’danisban angedeutet hatte, waren die Belagerer mit ihrer Geduld am Ende. Es wurden Vorbereitungen für einen letzten Schlag getroffen. Wahrscheinlich würde er heute nicht mehr stattfinden, dafür aber morgen. Die hölzernen Gerüste waren allzu lang vernachlässigt worden – die Seile ausgetrocknet, das Holz morsch. Kleine Trupps hatten mit den Reparaturen begonnen, doch sie arbeiteten ohne Hast und bewegten sich langsam in der entkräftenden Hitze. Eine Aura der Auflösung umgab das Lager, die nicht einmal von der freudigen Erwartung ganz überdeckt werden konnte.
Hier sind die Feuer erkaltet. Sie planen den Angriff nur noch, damit es endlich vorbei ist und sie nach Hause gehen können.
Der Assassine wurde auf eine kleine Gruppe von Soldaten aufmerksam, von der die Befehle zu kommen schienen. Besonders ein Mann in der Rüstung eines malazanischen Leutnants stand mit in die Hüften gestemmten Fäusten da und war eifrig damit beschäftigt, einem halben Dutzend Sappeure eine Strafpredigt zu halten.
Kurz bevor Kalam sie erreichte, schlenderten die Arbeiter davon und bewegten sich planlos auf die Türme zu.
Der Leutnant bemerkte ihn. Dunkle Augen verengten sich unter dem Helm. Es war ein Wappen darauf zu erkennen: Ashok-Regiment.
Die waren vor ein paar Jahren in Genabaris stationiert. Dann sind sie zurückgeschickt worden … ja, ich glaube nach Ehrlitan. Der Vermummte soll die Bastarde verfaulen lassen, ich hätte gedacht, sie wären loyal geblieben.
»Bist du gekommen, um zu sehen, wie den Letzten von ihnen die Kehlen durchgeschnitten werden?«, fragte der Leutnant mit einem harten Grinsen. »Gut. Du siehst wie ein Mann aus, der weiß, was er will, und der Erfahrung hat – und Beru weiß, davon gibt es viel zu wenige hier in diesem elenden Haufen. Wie heißt du?«
»Ulfas«, erwiderte Kalam.
»Klingt wie ein Barghast-Name.«
Der Assassine zuckte die Schultern, während er sein Bündel absetzte. »Ihr seid nicht der Erste, der das sagt.«
»Du wirst mich als Hauptmann anreden. Das heißt, wenn du bei diesem Kampf mitmachen willst.«
»Ihr seid nicht der Erste, der das sagt … Hauptmann.«
»Ich bin Hauptmann Irriz.«
Hauptmann … in einer Leutnantsuniform. Hast dich wohl in deinem Regiment nicht gebührend
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