SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
von den anderen Schiffen erforschen, obwohl wir eigentlich mehr als genug haben – «
»Kein Bedarf«, sagte Karsa. »Lass uns diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.«
Torvald sah den Teblor kurz aus schmalen Augen an, dann nickte er. »Einverstanden. Karsa, du sagst, du hast diesen Sturm nicht heraufbeschworen. Schön und gut. Ich werde dir wohl glauben müssen – zumindest, dass du dich nicht erinnern kannst, so etwas getan zu haben. Aber ich habe mich gefragt … euer Kult, diese Sieben Gesichter im Fels oder wie auch immer sie genannt werden. Verfügen sie über ein eigenes Gewirr? Existieren sie in einer anderen Sphäre als in derjenigen, in der du und ich leben?«
Karsa schluckte einen weiteren Bissen Brot hinunter. »Ich habe noch nie etwas von diesen Gewirren gehört, von denen du sprichst, Torvald Nom. Die Sieben hausen im Fels und in der Traumwelt der Teblor.«
»In der Traumwelt …« Torvald wedelte mit einer Hand. »Sieht hier irgendwas so aus wie diese Traumwelt, Karsa?«
»Nein.«
»Und was, wenn sie … geflutet worden wäre?«
Karsa machte ein finsteres Gesicht. »Du erinnerst mich an Bairoth Gild. Deine Worte ergeben keinen Sinn. Die Traumwelt der Teblor ist ein Ort ohne Hügel, wo Moose und Flechten an halb vergrabenen Felsbrocken kleben, wo kalter Wind niedrige Wehen aus Schnee formt. Wo seltsame braun bepelzte Tiere in Rudeln in der Ferne herumwandern …«
»Dann hast du sie selbst besucht?«
Karsa zuckte die Schultern. »Dies sind Beschreibungen unserer Schamanen.« Er zögerte kurz und fuhr dann fort: »Der Ort, den ich besucht habe …« Seine Stimme erstarb, dann schüttelte er den Kopf. »Er war anders. Es war ein Ort, an dem es … farbige Nebel gibt.«
»Farbige Nebel. Und waren deine Götter auch dort?«
»Du bist kein Teblor. Es gibt keinen Grund, dir noch mehr zu erzählen. Ich habe schon zu viel gesagt.«
»Nun gut. Ich habe nur versucht herauszufinden, wo wir sind.«
»Wir sind auf einem Meer, und nirgendwo ist Land in Sicht.«
»Nun ja. Aber auf welchem Meer? Wo ist die Sonne? Warum gibt es hier keine Nacht? Keinen Wind? In welche Richtung sollen wir fahren?«
»Es spielt keine Rolle, in welche Richtung wir fahren. In irgendeine Richtung.« Karsa stand von dem Ballen auf, auf dem er gesessen hatte. »Ich habe für’s Erste genug gegessen. Komm, lass uns das Boot vollends beladen und dann von hier verschwinden.«
»Ganz wie du meinst, Karsa.«
Mit jedem Tag, der verstrich, fühlte er sich kräftiger, und er verlängerte seine Zeit an den Rudern jedes Mal, wenn er Torvald Nom ablöste. Das Meer war flach, und mehr als einmal lief das Boot auf Untiefen auf, doch glücklicherweise waren es immer nur Sandbänke, die keinen Schaden anrichteten. Sie hatten nichts mehr von den großen Welsen gesehen, und auch sonst keine Form von Leben im Wasser oder am Himmel, doch gelegentlich trieb ein Stück Holz vorbei.
Während Karsas Kraft zurückkehrte, schwanden ihre Essensvorräte rasch dahin, und obwohl keiner von ihnen davon sprach, wurde die Verzweiflung ihr unsichtbarer Begleiter, eine dritte Präsenz, die den Teblor und den Daru verstummen ließ, die sie fesselte, wie es ihre früheren Häscher getan hatten, und die geisterhaften Ketten wurden immer schwerer.
Anfangs hatten sie die Tage durch den Wechsel von Schlaf- und Wachzeiten bestimmt, aber das Muster brach bald zusammen, als Karsa weiterruderte, während Torvald schlief, obwohl er den erschöpften Daru auch so schon häufiger ablöste. Es wurde schnell deutlich, dass der Teblor weniger Ruhe brauchte, während Torvald immer mehr zu brauchen schien.
Sie waren bei ihrem letzten Fass Wasser angekommen, das nur zu einem Drittel gefüllt war. Karsa war an den Riemen, zog die für ihn viel zu kleinen Ruder in weiten, mühelosen Zügen durch die trüben Fluten. Torvald lag zusammengerollt unter dem Segel; sein Schlaf war unruhig.
Die Schmerzen in Karsas Schultern waren beinahe verschwunden, doch seine Hüften und Beine schmerzten noch immer. Ohne zu denken, ohne Gefühl für das Verstreichen von Zeit wiederholte er unaufhörlich die immer gleiche Bewegung; seine einzige Sorge bestand darin, einen geraden Kurs beizubehalten – so gut er das ohne irgendwelche Anhaltspunkte eben konnte. Er hatte nichts als das Kielwasser des Bootes, um ihm die Richtung zu weisen.
Torvald öffnete die blutunterlaufenen und rot umränderten Augen. Seine Redseligkeit hatte er schon längst verloren. Karsa hatte den Verdacht, dass
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