SdG 07 - Das Haus der Ketten
ihr Gestalten.
Sie erreichte die andere Seite; ihre Füße sanken in den Schlamm ein, der von den Spritzern stammte, die die Kante erreicht hatten. »Ich erinnere mich an das Dunkel!«, sang sie. Ihre Stimme war vom jahrelangen Durhangrauchen heiser.
Aus dem Graben erklang ein Scharren, und ein kleines, mit Exkrementen verschmiertes Mädchen kam zu ihr hochgekrabbelt. Ihre Zähne blitzten weiß auf. »Ich auch, Schwester.«
Scillara zog einen kleinen Beutel mit Münzen aus ihrer Schärpe. Ihr Herr runzelte bei solchen Gesten die Stirn, und in der Tat widersprachen sie seinen Lehren, aber sie konnte nicht anders. Sie drückte dem Mädchen den Beutel in die Hände. »Für etwas zu essen.«
»Er wird ungehalten sein, Schwester – «
»Und von uns beiden werde nur ich dafür einen Augenblick der Qual erleiden. So sei es. Und jetzt habe ich Nachrichten von dieser Nacht, die unserem Herrn überbracht werden müssen …«
Er war immer gebeugt gegangen, tief gebeugt – so sehr, dass es ihm eine Menge wenig schmeichelhafter Spitznamen eingebracht hatte. Kröte, Krebsbein … Namen, die Kinder einander gaben und von denen man einige auch noch als Erwachsener mit sich herumschleppte. Doch Heboric hatte schon als Jugendlicher – lange vor seinem ersten, schicksalhaften Besuch in Feners Tempel – viel Mühe darauf verwendet, diese Namen abzuschütteln, und sich schließlich dank gewisser Fähigkeiten, die er auf der Straße erworben hatte, den Beinamen Leichte Hand verdient. Jetzt jedoch hatte sein schlängelnder Gang sich verändert, hatte dem instinktiven Wunsch nachgegeben, sich noch tiefer zu beugen, ja, sogar seine Hände zu benutzen, um ihn voranzutreiben.
Hätte er darüber nachgedacht, wäre er mürrisch zu dem Schluss gekommen, dass er sich weniger wie eine Katze, sondern viel mehr wie ein Affe bewegte – einer von der Art, die man in den Dschungeln von Dal Hon finden konnte. Doch so ungelenk sein Gang auch aussehen mochte, so schnell brachte er ihn nichtsdestotrotz voran.
Als er sich Toblakais Lichtung näherte, wurde er langsamer. Er nahm einen schwachen Geruch von Rauch wahr, das matte Schimmern eines schnell auskühlenden Feuers, murmelnde Stimmen.
Heboric glitt vom Pfad herunter zur Seite, zwischen die steinernen Bäume, und ließ sich zu Boden sinken, als er die beiden am Feuer sitzenden Gestalten sehen konnte.
Seine Selbstbesessenheit, die anscheinend endlosen Anstrengungen, seinen Tempel zu erschaffen – das alles hatte viel zu lange gedauert. Jetzt kam es ihm wie eine seltsame Art zwanghaften Nestbaus vor; er hatte die Welt jenseits seiner Wände viel zu lange nicht beachtet. Eine Woge bitterer Wut stieg in ihm auf, als ihm klar wurde, dass mit den Geschenken körperlicher Natur, die er bekommen hatte, offenbar eine ganze Reihe feiner Veränderungen seiner Persönlichkeit verbunden waren.
Er hatte aufgehört, achtsam zu sein.
Und dadurch, das wurde ihm nun klar, als er die beiden Gestalten auf der Lichtung betrachtete, hatte ein schreckliches Verbrechen geschehen können.
Sie hat sich gut erholt … aber nicht gut genug, um zu verbergen, was geschehen ist. Soll ich mich zeigen? Nein. Keiner von den beiden hat etwas unternommen, um Bidithal bloßzustellen, sonst würden sie sich nicht hier verstecken. Das bedeutet, sie würden versuchen, mir auszureden, das zu tun, was getan werden muss.
Aber ich habe Bidithal gewarnt. Ich habe ihn gewarnt, und er war darüber … erheitert. Nun, ich glaube, diese Erheiterung wird bald ein Ende nehmen.
Langsam bewegte er sich wieder zurück.
Und dann zögerte Heboric, noch immer tief im Schatten kauernd. In dieser Angelegenheit gab es keinen Konflikt zwischen seinen neuen und seinen alten Instinkten. Beide verlangten nach Blut. Heute Nacht noch. Sofort. Doch etwas von dem alten Heboric erhob Einwände. Seine Rolle als Destriant war noch neu für ihn. Mehr noch, Treach selbst war noch ein neuer Gott. Und auch wenn Heboric nicht annahm, dass Bidithal irgendeine Position in der Sphäre des Schattens innehatte – nicht mehr –, so war sein Tempel dennoch irgendjemandem geweiht.
Ein Angriff würde die jeweiligen Quellen ihrer Macht mit hineinziehen, und es war unmöglich vorherzusagen, wie rasch – und wie unkontrollierbar – dieser Zusammenprall sich ausweiten konnte.
Es wäre besser, wenn ich einfach der alte Heboric geblieben wäre. Mit Händen aus Otataral, das mit der unermesslichen Macht eines unbekannten Wesens verwoben war … Dann hätte ich
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