SdG 07 - Das Haus der Ketten
ihn im wahrsten Sinne des Wortes in Stücke reißen können.
Stattdessen wurde ihm klar, dass er überhaupt nichts tun konnte. Nicht in dieser Nacht, auf gar keinen Fall. Er würde auf eine günstige Gelegenheit warten müssen, auf einen Moment, in dem Bidithal abgelenkt war. Aber damit das gelingen konnte, würde er sich weiter verstecken müssen, würde er unsichtbar bleiben müssen – so dass der alte Priester seinen unerwarteten Aufstieg nicht bemerkte. Dass er nicht erfahren konnte, dass er Treachs Destriant geworden war, des neuen Gottes des Krieges.
Die Wut kehrte plötzlich wieder zurück, und er musste sich anstrengen, um sie zu verdrängen.
Nach einiger Zeit wurden seine Atemzüge ruhiger. Er drehte sich um und schob sich zurück auf den Pfad. Diese Sache erforderte weitere Überlegungen. Ruhige Überlegungen. Verdammt sollst du sein, Treach. Du weißt, wie man sich als Tiger verhält. Schenke mir einen Teil deiner Schläue, die Schliche eines Jägers, eines Räubers, der zu töten versteht …
Er näherte sich der Mündung des Pfads und verharrte, als er ein schwaches Geräusch vernahm. Jemand sang. Gedämpft. Ein Kind, das aus den Ruinen kam, die früher einmal irgendein bescheidenes Gebäude gewesen waren. Ohne von der Dunkelheit sonderlich behindert zu werden, erhaschten seine Augen eine Bewegung und blieben dort hängen, bis eine Gestalt sich aus der Schwärze schälte.
Ein in Lumpen gehülltes Mädchen, mit einem Stock, den sie in beiden Händen hielt. Etwa ein Dutzend tote Rhizan hingen an den Schwänzen an ihrem Gürtel. Noch während er zuschaute, sah er sie aufspringen und den Stock schwingen. Er traf irgendetwas, und sie kroch hinterher, hüpfte herum, um etwas Kleines zu packen, das sich auf dem Boden wand. Einen Augenblick später hob sie das Rhizan in die Höhe. Ein schnelles Halsumdrehen, und ein weiterer kleiner Kadaver wurde an ihrem Gürtel befestigt. Sie bückte sich und hob den Stock wieder auf. Und begann erneut zu singen.
Heboric verharrte reglos. Es würde schwierig werden, ungesehen an ihr vorbeizukommen. Aber nicht unmöglich.
Wahrscheinlich war es eine unnötige Vorsichtsmaßnahme. Und wenn schon. Er blieb in den Schatten, während er sich vorwärts schob, bewegte sich nur, wenn sie ihm den Rücken zukehrte, und ließ sie keinen Moment aus den Augen.
Kurze Zeit später war er an ihr vorbei.
Die Morgendämmerung rückte näher; in wenigen Augenblicken würde das Lager erwachen. Heboric beschleunigte seine Schritte, erreichte schließlich sein Zelt und glitt hinein.
Außer dem Mädchen hatte er niemanden gesehen.
Und als das Mädchen zu dem Schluss kam, dass er endlich fort war, drehte sie sich langsam um. Ihr Singen erstarb, während sie in die Düsternis starrte. »Drolliger Mann«, flüsterte sie, »erinnert Ihr Euch an das Dunkel?«
Einen Sechstel Glockenschlag vor Anbruch der Morgendämmerung griffen Leoman und zweihundert seiner Wüstenkrieger das malazanische Lager an. Die Fußsoldaten in den Vorposten waren am Ende ihrer Wache und standen in müden Grüppchen zusammen, um auf den Sonnenaufgang zu warten – eine Nachlässigkeit, die den Bogenschützen, die sich zu Fuß bis auf dreißig Schritt an die Linie herangeschlichen hatten, leichte Ziele bot. Eine Salve flüsternder Pfeile, alle zur gleichen Zeit abgeschossen, und die malazanischen Soldaten lagen am Boden.
Mindestens die Hälfte der etwa dreißig Soldaten war nicht sofort tot, und ihre von Schmerzen und Furcht kündenden Schreie hallten durch die bislang stille Nacht. Die Bogenschützen hatten bereits ihre Bogen abgelegt und rannten mit ihren Kethramessern in Händen vorwärts, um den verwundeten Wachtposten den Rest zu geben, doch sie waren noch keine zehn Schritt weit gekommen, als Leoman und seine berittenen Krieger um sie herum preschten und durch die Bresche stürmten.
Mitten hinein ins Lager.
Corabb Bhilan Thenu’alas ritt an der Seite seines Anführers, eine langschäftige Waffe – halb Schwert, halb Axt – in seiner Rechten. Leoman befand sich im Zentrum einer geschwungenen Reihe von Angreifern und deckte einen Haufen zusätzlicher Reiterkrieger, von denen ein gleichmäßiges surrendes Geräusch ausging. Corabb wusste, was dieses Geräusch bedeutete – sein Anführer hatte seine eigene Antwort auf die Moranth-Munition erfunden, indem er zwei Tonkugeln mit Öl füllte und sie mit einer dünnen Kette verband. Sie wurden wie Lampen angezündet und wie Bolas geschwungen und geworfen.
Die
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