SdG 08 - Kinder des Schattens
im böigen Wind. Die Lande der Arapay lagen nun hinter ihnen, und damit auch die widerwillige Gastfreundschaft dieses unterworfenen Stammes. Die Hiroth-Krieger waren allein, und vor ihnen breitete sich eine weiße, zerschmetterte Landschaft aus.
Sie wirkte leblos, doch die Arapay hatten von nächtlichen Jägern gesprochen, von merkwürdigen, in Felle gehüllten mörderischen Angreifern, die aus der Dunkelheit kamen und schartige Schwerter aus schwarzem Stahl schwangen. Sie nahmen Körperteile als Trophäen, ließen Rümpfe ohne Köpfe und Gliedmaßen zurück. Noch nie war einer von ihnen gefangen genommen worden, und die Leichen der Getöteten wurden niemals dort liegen gelassen, wo sie gefallen waren.
Immerhin neigten sie dazu, nur Edur-Jäger anzugreifen, die paarweise unterwegs waren. Größere Gruppen wurden im Allgemeinen in Ruhe gelassen. Die Arapay nannten sie Jheck, was so etwas wie Aufrecht stehende Wölfe bedeutete.
»Wir werden beobachtet«, sagte Theradas; wie immer klang seine Stimme belegt und verwaschen.
Forcht Sengar zuckte die Schultern. »Die Eisöde ist nicht so leblos, wie sie scheint. Hasen, Füchse, Höhleneulen, weiße Wölfe, Bären, Aranag …«
»Die Arapay haben von großen Tieren gesprochen«, unterbrach ihn Rhulad. »Mit braunem Fell und Stoßzähnen – wir haben das Elfenbein gesehen …«
»Das war altes Elfenbein, Rhulad«, sagte Forcht. »Das im Eis gefunden wurde. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass es solche Tiere nicht mehr gibt.«
»Die Arapay sagen etwas anderes.«
Theradas grunzte. »Sie leben in Furcht vor der Eisöde, Rhulad, und haben sie deshalb mit alptraumhaften Tieren und Dämonen bevölkert. Es ist so: Wir werden sehen, was wir sehen werden. Seid ihr mit Essen fertig? Wir vergeuden Tageslicht.«
»Ja«, sagte Forcht und stand auf. »Wir sollten weitergehen.«
Rhulad und Midik Buhn begaben sich an die Flanken. Beide trugen Bärenfelle, schwarz, mit silberner Halskrause. Ihre Hände, die in Pelzhandschuhen steckten – ein Geschenk der Arapay – umklammerten lange Speere, die sie als Gehstöcke benutzten, um bei jedem Schritt den festgebackenen Schnee vor ihnen zu prüfen. Theradas übernahm die Spitze, fünfzehn Schritt voraus, so dass Trull, Forcht und Binadas als Hauptgruppe übrig blieben; sie zogen die beiden Schlitten hinter sich her, die mit Lederbeuteln voller Vorräte bepackt waren.
Es hieß, es gäbe weiter draußen in der Ödnis Wasser unter dem Eis – die salzigen Überreste eines Binnenmeers –, und höhlenartige Löcher, verborgen unter einem dünnen Mantel aus Schnee. Der Boden unter ihren Füßen war trügerisch, so dass sie nur langsam vorankamen.
Der Wind fegte über sie hinweg, biss in jedes Fleckchen freie Haut, das er finden konnte, und zwang sie, sich mit aller Kraft gegen seine böigen, kalten Attacken zu stemmen.
Trotz der Pelze, die sie umhüllten, spürte Trull den Schock der plötzlichen Kälte, eine geistlose, gleichgültige Kraft, die dennoch begierig darauf war, sie zu berauben. Die in einem betäubenden Angriff in seine Luftröhre strömte. Und dabei einen schwachen Geruch nach Tod mit sich führte.
Die Edur wickelten sich Wollschals um die Gesichter, ließen nur winzige Schlitze für die Augen. Gespräche wurden schnell aufgegeben, und so schritten sie stumm dahin; selbst das Knirschen ihrer pelzbesetzten Mokassins im Schnee klang gedämpft und wie aus weiter Ferne.
Die Wärme der Sonne und der Wechsel der Jahreszeiten konnten an diesem Ort den Krieg nicht gewinnen. Schnee und Eis wurden vom Wind aufgewirbelt und glitzerten über ihren Köpfen, äfften die Sonne mit doppelten Spiegelbildern nach, was Trull zu der Annahme verleitete, dass der Wind nur knapp über dem Boden wehte, während hoch über ihren Köpfen die schwebenden Eiskristalle unbeweglich dräuten, unempfindlich gegen das Verstreichen der Jahreszeiten – der Jahre.
Er legte den Kopf in den Nacken, um kurz nach oben zu starren, wobei er sich fragte, ob sich in jenem glänzenden, beinahe undurchsichtigen Himmel über ihnen gefrorene Erinnerungen an die Vergangenheit befanden – winzige Bilder, die in jedem einzelnen Eiskristall verschlossen waren und Zeugnis von all dem ablegten, was sich unter ihnen ereignet hatte. Eine Vielzahl von Schicksalen – und manche davon vielleicht sogar aus jener Zeit, als hier noch kein Eis, sondern Meer gewesen war. Hatten vor all den Tausenden von Jahren unbekannte Kreaturen diese Wasser in geheimnisvollen Einbäumen
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