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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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von oben – über sie gekommen war. Die brutale Hand eines Gottes, der ebenso gleichgültig gewesen war wie die Tiere selbst.
    Binadas trat an seine Seite. »Dies ist mittels eines Gewirrs geschehen«, sagte er.
    Trull nickte. Zauberei. Alles andere ergab keinen Sinn. »Ein Gott.«
    »Vielleicht. Aber nicht notwendigerweise, Bruder. Manche Mächte müssen nur entfesselt werden. Dann sprießen sie mit natürlicher Wucht.«
    »Die Feste des Eises«, sagte Trull. »So, wie die Letherii sie in ihrem Glauben beschreiben.«
    »Die Hand des Beobachters«, sagte Binadas, »der gewartet hat, bis der Krieg vorüber war, ehe er vorgetreten ist und seine Macht entfesselt hat.«
    Trull hatte immer gedacht, dass er – was die alten Legenden seines Volkes anging – mehr wusste als die meisten anderen Edur-Krieger. Doch als Binadas’ Worte jetzt in seinem Kopf nachhallten, fühlte er sich erbärmlich unwissend. »Wo sind sie hingegangen?«, fragte er. »Diese alten Mächte? Warum leben wir, als wären wir …, als wären wir allein? «
    Sein Bruder zuckte die Schultern, wie immer war er nicht willens, seine Zurückhaltung aufzugeben, sein achtsames Schweigen zu brechen. »Wir bleiben allein«, sagte er schließlich, »um die Heiligkeit unserer Vergangenheit zu bewahren.«
    Trull dachte über diese Worte nach, während sein Blick über die vor ihm liegende Szene wanderte, über diese dunklen, trüben Lebewesen, die ihrem Verhängnis nicht hatten entkommen können, und stellte dann fest: »Unsere so hoch geschätzten Wahrheiten sind verletzlich.«
    »Gegenüber Herausforderungen, ja.«
    »Und das Salz nagt an dem Eis unter uns, bis die Welt unter unseren Füßen gefährlich dünn wird.«
    »Bis das, was gefroren war … auftaut.«
    Trull trat noch einen Schritt näher an eines der dahinstürmenden Karibus heran. »Was taut, bricht dann in sich zusammen und fällt zu Boden. Und verrottet, Binadas. Die Vergangenheit ist von Fliegen bedeckt.«
    Sein Bruder ging auf den Altar zu und sagte: »Diejenigen, die vor diesem Schrein knien, waren erst vor wenigen Tagen hier.«
    »Sie sind nicht auf dem gleichen Weg wie wir hierher gekommen.«
    »Nun, es gibt zweifellos noch andere Pfade in diese Unterwelt.«
    Trull warf Theradas, an den er sich erst jetzt wieder erinnerte, einen Blick zu. Der Krieger verharrte an der Schwelle, sein Atem stand als Wolke in der Luft.
    »Wir sollten zu den anderen zurückkehren«, sagte Binadas. »Wir haben morgen einen langen Weg vor uns.«
     
    Die Nacht verstrich feucht und kühl und begleitet vom Flüstern des unaufhörlich rinnenden Schmelzwassers. Jeder Edur übernahm eine Wache, in Felle gehüllt und die Waffen bereit. Doch in dem matten, schwach lumineszierenden Licht gab es nichts zu sehen. Eis, Wasser und Stein, Tod, hungrige Bewegung und undurchlässige Knochen, ein blindes Triumvirat, das eine eisige Sphäre regierte.
    Kurz vor der Dämmerung erhoben sich die Edur, aßen rasch eine Kleinigkeit, dann kletterte Rhulad an den Seilen hoch, wobei er sich den Dornen anvertraute, die sie weiter oben – in zwei Drittel Höhe, wo die Spalte eng genug wurde, um ein Überwechseln zur nördlichen Wand zu ermöglichen – ins Eis getrieben hatten. Als er über jenen Punkt hinaus war, hämmerte Rhulad neue Dornen in das Eis. Kleine Splitter und größere Stückchen regneten einige Zeit lang auf die unten Wartenden herab, dann erscholl von oben ein Ruf. Midik ging zu den Seilen und begann zu klettern, während Trull und Forcht die Vorratspacken an geflochtene Lederschnüre banden. Die Schlitten würden sie als Letztes hochziehen.
    »Heute werden wir vorsichtig sein müssen«, sagte Binadas. »Sie werden wissen, dass wir hier waren und ihren Schrein gefunden haben.«
    Trull warf ihm einen Blick zu. »Aber wir haben ihn nicht entweiht.«
    »Vielleicht reicht allein schon unsere Anwesenheit, Bruder.«
    Als alle Edur-Krieger auf der Nordseite des Spalts wieder auf dem Eis standen und die Schlitten neu beladen und bereit waren, war die Sonne bereits über den Horizont geklettert. Der Himmel war klar, und es wehte kein Wind, doch die Luft war bitterkalt. Der glühende Ball der Sonne wurde auf beiden Seiten von kleineren Spielarten seiner selbst flankiert – sie wirkten schärfer und heller als beim letzten Mal, als hätte die Welt über ihnen im Verlauf der gerade vergangenen Nacht sich von der, die sie kannten, in etwas Fremdes und Bedrohliches verwandelt – in etwas, das dem Leben feindlich gesinnt war.
    Mit

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