SdG 08 - Kinder des Schattens
befahren? Würden eines Tages diese Jheck aus ihnen werden?
Die Letherii sprachen von Festen, von jenem merkwürdigen Pantheon der Elemente, und eines davon war die Feste des Eises. Als wäre der Winter durch Zauberei entstanden, als wären Eis und Schnee Werkzeuge der absichtlichen Vernichtung. Etwas von dieser Vorstellung war auch in den Legenden der Edur präsent. Eis, das herabstürzte, um das Land zu stehlen, das mit Tiste-Blut getränkt war, der brutale Diebstahl hart erkämpfter Gebiete als ein Akt der Rache, vielleicht das eisige Erblühen eines Fluchs, der mit dem letzten Atemzug ausgestoßen worden war, als letzter Akt des Widerstands.
Das Gefühl – wenn denn eines existierte – war das alter Feindseligkeit. Das Eis war ein Dieb, der Leben, Land und die gerechte Belohnung raubte. Gebunden in Tod und Blut, ein ewiges Gefängnis. Aus all diesen Gründen verdiente es Hass.
Sie gingen den ganzen Tag lang weiter, drangen langsam aber stetig vor, weiter und weiter durch wirre Felder aus zerbrochenen, hoch aufragenden Eisstücken, die aus der Ferne einfach nur weiß aussahen, beim Näherkommen jedoch zahllose Schattierungen in Grün-, Blau- und Brauntönen aufwiesen. Sie überquerten Flächen aus vom Wind geformtem, festgebackenem Schnee, der ein geriffeltes Muster wie Sand an einem Strand zeigte. Kamen an merkwürdigen Verwerfungslinien vorbei, wo unsichtbare Kräfte das Eis abgeschert und eine Seite über die andere geschoben hatten, wobei quer dazu verlaufende Pfade zermalmt worden waren, als schöbe die feste Welt unter ihnen in ihrer unberechenbaren Wanderung alles vor sich her.
Am späten Nachmittag brachte ein leiser Ruf von Theradas Buhn sie zum Stehen. Trull, der beim Gehen den Blick auf den Boden direkt vor sich gerichtet hatte, schaute bei dem gedämpften Geräusch auf und sah, dass Theradas vor etwas stand und sie mit einer Handbewegung zu sich winkte. Wenige Augenblicke später waren sie an seiner Seite.
Quer zu ihrem Pfad verlief eine mächtige, mindestens fünfzehn Schritt breite Spalte. Die glatten Wände aus Eis erstreckten sich weit nach unten in die Dunkelheit, und aus der Tiefe stieg ein merkwürdiger Geruch auf.
»Salz«, sagte Binadas, nachdem er seinen Gesichtsschutz abgenommen hatte. »Gezeitentümpel.«
Jetzt gesellten sich auch Rhulad und Midik zu ihnen. »Sie scheint von Horizont zu Horizont zu reichen«, sagte Rhulad.
»Der Abbruch sieht frisch aus«, bemerkte Binadas, der sich dicht an die Kante gekauert hatte. »Als ob die Oberfläche schrumpfen würde.«
»Vielleicht hat der Sommer dieser Ödnis doch eine geringfügige Veränderung gebracht«, überlegte Forcht laut. »Wir sind an versiegelten Verwerfungen vorbeigekommen, die ganz gut Überbleibsel, Narben solcher Wunden aus der Vergangenheit sein könnten.«
»Und wie kommen wir auf die andere Seite?«, fragte Midik.
»Ich könnte Schatten von da unten heraufholen«, sagte Binadas und schüttelte dann den Kopf, »aber die Vorstellung bereitet mir Unbehagen. Wenn es hier Geister gibt, könnten sie sich sehr wohl als nicht beherrschbar erweisen. In den Schnee und das Eis sind Schichten von Zauberei eingewoben, und sie heißen Emurlahn nicht willkommen.«
»Holt die Seile heraus«, sagte Forcht.
»Es wird bald dunkel.«
»Wenn es nötig sein sollte, werden wir da unten unser Lager aufschlagen.«
Trull warf Forcht einen raschen Blick zu. »Was ist, wenn die Spalte sich schließt, während wir da unten sind?«
»Ich halte das nicht für besonders wahrscheinlich«, sagte Forcht.
»Außerdem werden wir diese Nacht ungesehen bleiben, verborgen in der Tiefe. Wenn es in diesem Land tatsächlich Tiere geben sollte – auch wenn wir bisher noch nichts gesehen haben, was diese Annahme bestätigt –, dann wäre es mir am liebsten, wir würden jede sich bietende Gelegenheit nutzen, ihnen aus dem Weg zu gehen.«
Nasse Kieselsteine rutschten unter seinen Mokassins weg, als Trull seine Füße auf den Boden setzte und vom Seil zurücktrat. Er schaute sich um, überrascht vom schwachen grünen Schimmer, der um ihn herum herrschte. Sie waren tatsächlich auf einem Meeresboden. Salz hatte das Eis an den Rändern faulen lassen und große Höhlen voller glitzernder Säulen geschaffen. Die Luft war kalt, dick und stank widerlich.
Ein paar Schritt zur Seite hatten Midik und Rhulad ein Bündel Holz aus einem Packsack gezogen und bereiteten ein Kochfeuer vor. Binadas und Forcht beluden die Schlitten neu, um die Taschen mit den Vorräten
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