SdG 08 - Kinder des Schattens
geben würde.
Schattengespenster flackerten rastlos umherstreifend über das Deck, Hände mit langen Klauen streckten sich nach unten, als sie sich auf alle viere niederließen. Sie strichen umher, als könnten sie es kaum erwarten, das Langboot zu verlassen. Trull hatte nie zuvor so viele von ihnen gesehen, und er wusste, dass sie auch auf den anderen Langbooten waren. Dennoch würden sie die Letherii nicht abschlachten. Für diese Aufgabe hatte der Hexenkönig etwas anderes beschworen.
Er konnte es spüren. Wie es unter ihnen wartete. Mit unermesslicher Geduld in den Tiefen schwebte.
In der Nähe des Bugs hob Hannan Mosag langsam eine Hand, und als Trull an dem Hexenkönig vorbeischaute, sah er den Rumpf eines der Letherii-Schiffe langsam aus dem Nebel auftauchen. Mit zusammengerollten Segeln und Laternen, die an den Enden von nach außen ragenden Stangen angebracht waren und ein gedämpftes, gelbes Licht verströmten.
Und dann ein zweites Schiff, das mittels eines dicken Taus mit dem ersten verbunden war.
Haifischflossen durchschnitten die klare Wasseroberfläche um die Schiffe herum.
Und dann waren die Flossen plötzlich verschwunden.
Was auch immer in der Tiefe gewartet hatte, stieg auf.
Tauchte unsichtbar mit einem Erzittern des Wassers auf.
Ein Augenblick, verschwommen und unbestimmt.
Dann Schreie.
Trull ließ seinen Speer fallen und hielt sich die Ohren zu – und er war nicht der Einzige, der so reagierte, denn die Schreie aus unzähligen hilflosen Kehlen wurden lauter, steigerten sich zu einem schrillen Kreischen. Magische Energien blitzten kurz im Nebel auf und verschwanden wieder.
Die Schiffe der Letherii waren jetzt überall um sie herum. Doch von dem, was auf ihnen geschah, war nichts zu sehen. Der Nebel, der sie einhüllte, hatte sich verdunkelt, kräuselte sich wie Rauch, und aus der undurchdringlichen Düsternis fanden nur die Schreie einen Weg nach draußen, wie Fetzen von Entsetzen, sich windende Seelen.
Trotz all seiner Anstrengungen, die Geräusche abzublocken, waren sie in Trulls Kopf. Hunderte von Stimmen. Aberhunderte …
Dann Stille. Hart und vollkommen.
Hannan Mosag gestikulierte.
Der weiße Mantel aus Nebel verschwand schlagartig.
Das ruhige Meer wiegte sich nun in einem gleichmäßigen Wind. Über ihnen schien die Sonne von einem strahlend blauen Himmel.
Die schwarze Ausdünstung, die die Letherii-Schiffe eingehüllt hatte, war verschwunden.
Die Schiffe schlingerten im Wasser, ausgebrannte Laternen tanzten wild hin und her.
»Paddelt.«
Hannan Mosags Stimme schien von einer Stelle direkt neben Trull zu kommen. Er zuckte zusammen, dann griff er wie alle anderen nach unten, nach seinem Paddel. Er richtete sich wieder auf, drückte seine Hüfte gegen die Bordwand und stieß sein Paddel ins Wasser.
Das Langboot schoss vorwärts.
Wenige Augenblicke später hielten sie ihre Paddel still ins Wasser, um ihr Boot längsseits eines der Schiffe zum Stillstand zu bringen.
Schattengespenster schwärmten die rot gefleckte Bordwand hinauf.
Und Trull sah, dass das Schiff nicht mehr so tief im Wasser lag. Der Laderaum war jetzt leer, wie ihm klar wurde.
»Forcht«, zischte er. »Was geht da vor? Was ist geschehen?«
Sein Bruder drehte sich um, und Trull erschrak über Forchts blasses Gesicht. »Sie ist nicht für uns, Trull«, sagte er und drehte sich wieder um.
Sie ist nicht für uns. Was meint er damit? Was ist nicht für uns?
Tote Haie wälzten sich in den Wellen um sie herum. Ihre Kadaver waren aufgerissen, als ob sie geplatzt wären. Das Wasser war mit klebrigem Schaum gesprenkelt.
»Wir kehren jetzt zurück«, sagte Hannan Mosag. »Bemannt die Segel, meine Krieger. Wir haben es gesehen. Jetzt müssen wir fort.«
Im Namen von Vater Schatten – was haben wir gesehen?
An Bord der Letherii-Schiffe entfalteten sich knallend die Segel und blähten sich auf.
Die Gespenster werden sie hinbringen. Bei Duster, dies ist nicht einfach eine Zurschaustellung von Macht. Dies – dies ist eine Herausforderung. Eine Herausforderung von enormer Arroganz, weit größer als die dieser Letherii-Jäger und ihrer närrischen, selbstmörderischen Jagd auf die Stoßzähnigen Robben. Und als Trull dies klar wurde, während er den anderen Kriegern dabei zusah, wie sie sich um die Segel kümmerten, kam ihm ein neuer Gedanke. Wer von den Letherii würde die Mannschaften von neunzehn Schiffen wissentlich in den Tod schicken? Und warum haben diese Mannschaften dem Vorhaben überhaupt
Weitere Kostenlose Bücher