SdG 08 - Kinder des Schattens
der Abgrund selbst verschlungen wird. Hannan Mosag will unseren Gott rächen.«
Trull runzelte die Stirn. »Die Älteren Götter sind verschwunden, Forcht. Genau wie die Eleint. Hannan Mosag herrscht über sechs Stämme der Tiste Edur und ein in Bruchstücke zerfallenes Gewirr.«
»Vierhundertzwanzigtausend Edur«, sagte Rhulad. »Und all unseren endlosen Erkundungsreisen zum Trotz haben wir keine Verwandten in den Bruchstücken von Kurald Emurlahn gefunden. Forcht, Hannan Mosag sieht durch befleckte Gedanken. Es ist eine Sache, mit heraufbeschworenen Dämonen und – falls notwendig – stählernen Klingen gegen die Vorherrschaft der Letherii anzukämpfen. Aber sollen wir jetzt gegen alle Götter in dieser Welt Krieg führen?«
Forcht nickte langsam. »Ihr seid hier«, sagte er zu ihnen, »und euch wurde erzählt, was bekannt ist. Nicht, um zu sehen, wie ihr ein Knie beugt und den Namen des Hexenkönigs lobpreist. Er sucht nach Macht, Brüder. Er braucht Macht, und ihr Ursprung ist ihm ebenso gleichgültig wie ihr Makel.«
»Deine Worte sind treulos«, sagte Rhulad, und Trull hörte einen seltsam freudigen Unterton in der Stimme seines Bruders.
»Sind sie das?«, fragte Forcht. »Wir sollen in Hannan Mosags Auftrag eine gefährliche Reise unternehmen. Um ein Geschenk für ihn abzuholen. Und es ihm dann zu übergeben. Ein Geschenk von wem, meine Brüder?«
»Wir können uns ihm nicht widersetzen«, sagte Trull. »Denn er wird einfach andere suchen, die an unserer Stelle gehen. Und wir werden einer Strafe entgegensehen – oder Schlimmerem.«
»Natürlich werden wir uns ihm nicht widersetzen, Trull. Aber wir dürfen auch nicht wie blinde alte Männer reisen.«
»Was ist mit Binadas?«, fragte Rhulad. »Was weiß er hiervon?«
»Alles«, erwiderte Forcht. »Vielleicht sogar mehr als Uruth.«
Trull starrte erneut zu dem schimmelüberwucherten Drachenschädel am tiefsten Punkt der Grube hinunter. »Wieso bist du dir so sicher, dass das da Scabandari Blutauge ist?«
»Weil die Witwen ihn hierher gebracht haben. Das Wissen wurde unter den Frauen von Generation zu Generation überliefert.«
»Und Hannan Mosag?«
»Uruth weiß, dass er hier gewesen ist – hier, an diesem Ort. Wie er die Wahrheit entdeckt hat, bleibt ein Geheimnis. Uruth hätte mir und Binadas niemals etwas erzählt, wenn sie nicht so verzweifelt gewesen wäre. Der Hexenkönig greift auf tödliche Mächte zurück. Sind seine Gedanken befleckt? Selbst wenn sie es vorher nicht waren, so sind sie es jetzt.«
Trull starrte noch immer auf den Schädel hinab. Dieser Schlag mit der gepanzerten Faust war eine rohe, brutale Hinrichtung gewesen. »Wir sollten lieber hoffen«, flüsterte er, »dass die Älteren Götter tatsächlich fort sind.«
Kapitel Vier
Unter jeder Flut gibt es weitere Fluten
Und die Wasseroberfläche
Bedeutet nichts
Sprichwort der Tiste Edur
D
ie Nerek glaubten, die Tiste Edur seien Kinder von Dämonen. In ihrem Blut war Asche, die ihre Haut befleckte. Einem Edur in die Augen zu sehen, bedeutete, das Grauwerden der Welt zu sehen, das Verschmieren der Sonne und die raue Haut der Nacht selbst.
Als der Hiroth-Krieger namens Binadas auf die Gruppe zuschritt, begannen die Nerek zu wehklagen. Sie schlugen sich mit den Fäusten ins Gesicht und auf die Brust und fielen auf die Knie.
Buruk der Bleiche stapfte zu ihnen, fluchte lauthals und brüllte sie an, doch sie waren ihm gegenüber taub. Schließlich drehte sich der Händler zu Seren Pedac und Hull Beddict um und fing an zu lachen.
Hull runzelte die Stirn. »Das wird vorübergehen, Buruk«, sagte er.
»Ach, wird es das? Und die Welt an sich, wird die auch vorübergehen? Wie ein tödlicher Wind, in dem unsere Leben wie Staub in seinem ungestümen Brausen dahinwirbeln? Nur, um sich schließlich tot und gefühllos in seinem Kielwasser niederzulassen – so dass das wilde Herumtollen bar jeder Bedeutung ist? Hah! Ich wollte, ich hätte Faraed angeheuert!«
Seren Pedacs Aufmerksamkeit war noch immer auf den näher kommenden Edur gerichtet. Ein Jäger. Einer, der zu töten verstand. Einer, der wahrscheinlich auch lange zu schweigen vermochte. Sie konnte sich vorstellen, wie dieser Binadas irgendwo in der Wildnis mit Hull Beddict am Lagerfeuer hockte. Im Verlauf eines Abends, einer Nacht und des folgenden Morgens hatten sie vielleicht ein halbes Dutzend Worte gewechselt. Und, wie sie vermutete, eine tiefe und unergründliche Freundschaft besiegelt. Dies waren die Geheimnisse
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