SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
sprießen könnten, und genug Kuhmilch, dass mir Euter wachsen könnten – »und deshalb, Hexenfresserin, geh weg von mir!«
Sie lachte – es war eher ein Zischen, wie das auch zu erwarten gewesen war – und sagte: »Ich hungere nach streunenden Hexern –«
»Nein! Du isst Hexen! Keine Hexer!«
»Wer hat irgendwas von essen gesagt?«
Balsam versuchte wegzukommen, er krabbelte, tastete, aber da waren Felsen, raue Wände, Vorsprünge, die ihn festhielten. Er war gefangen. »Ich bin gefangen!«
»Lass ihn in Ruhe, du brünftige Schlange!«
Eine Stimme wie Donnerhall. Nun, sehr leiser Donnerhall. Balsam hob den Kopf, blickte sich um. Ein großer Käfer stand auf den Hinterbeinen aufgerichtet eine Armlänge von ihm entfernt; sein keilförmiger Kopf wäre auf gleicher Höhe mit Balsams Knien gewesen, wenn Letzterer gestanden hätte. Also groß im relativen Sinn. Imparala Ar, der Mistgott – »Imparala! Rette mich!«
»Fürchte dich nicht, Sterblicher«, sagte der Käfer und wackelte mit den Antennen und den Beinen. »Sie wird dich nicht bekommen! Nein, ich brauche dich!«
»Du? Wozu?«
»Um zu graben, mein sterblicher Freund. Durch den unermesslichen Mist der Welt! Nur deine Art, Mensch, mit eurer klaren Vision, eurem endlosen Appetit! Ihr, Beförderer von Abfall und Schöpfer von Müll! Folge mir, und wir werden uns unseren Weg in den Abgrund selbst fressen!«
»Bei den Göttern, du stinkst!«
»Mach dir nichts draus, mein Freund – es wird nicht lange dauern, und du wirst auch –«
»Lasst ihn in Ruhe, alle beide!« Eine dritte Stimme, schrill, die von oben herab- und schnell näher kam. »Es sind die Toten und die Sterbenden, die die Wahrheit herausschreien!«
Balsam blickte auf. Brithan Schar, die elfköpfige Geiergöttin. »Oh, lasst mich in Ruhe! Ihr alle!«
Von allen Seiten erhob sich nun ein anschwellendes Geschrei. Götter und Göttinnen, die ganze dalhonesische Menagerie abscheulicher Gottheiten.
Oh, warum haben wir so viele von ihnen?
Es war ihre Schwester, nicht sie. Sie erinnerte sich so klar, als ob es gestern gewesen wäre, an jene Nacht der Lügen, die in das Dorf in Itko Kan getrappelt war, als die Meere zu lange still und leer gewesen waren. Als der Hunger, nein, das Verhungern sich breitgemacht hatte, und alle zivilisierten, modernen Überzeugungen – die erhabenen, gerechten Götter – wieder einmal über Bord geworfen wurden. Im Namen des Erwachens waren die alten grässlichen Riten zurückgekehrt.
Die Fische waren fort. Die Meere waren ohne Leben. Blut wurde benötigt, um das Erwachen zu schüren, um sie alle zu retten.
Sie hatten ihre Schwester genommen. Lächeln war sich dessen sicher. Doch da waren die rauen, salzverkrümmten Hände der Alten, die ihren betäubten, gefühllosen Körper hinunter zum nassen Sand trugen – die Flut hatte sich weit zurückgezogen und wartete geduldig auf das warme Geschenk – während sie über sich selbst schwebte und voller Entsetzen zusah.
Alles falsch. So war es nicht gewesen. Sie hatten ihre Zwillingsschwester genommen – schließlich lag so viel Macht in der Spiegelgeburt, und sie war so selten in dem kleinen Dorf gewesen, in dem sie geboren worden war.
Ihre Schwester. Deswegen war sie vor ihnen allen weggelaufen. Hatte sie jeden Namen verflucht, jedes Gesicht, das sie in jener Nacht gesehen hatte. Sie war gerannt und gerannt, den ganzen Weg bis zu der großen Stadt im Norden – und wenn sie gewusst hätte, was sie dort erwartete …
Nein, ich würde es wieder tun. Ich würde es tun. Diese Dreckskerle. »Für das Leben aller anderen, Kind, gib dein eigenes her. Dies ist der Kreislauf, dies ist Leben und Tod, und dieser ewige Pfad liegt im Blut. Gib dein eigenes Leben her, für unser aller Leben.«
Merkwürdig, dass diese Priester sich niemals selbst freiwillig als glorreiches Geschenk meldeten. Dass sie nie darauf bestanden, dass sie diejenigen waren, die gefesselt und mit Gewichten beschwert wurden, um auf den Wellenschlag der Flut zu warten, und auf die Krabben, die ewig hungrigen Krabben.
Und wenn es so verdammt glückselig war, warum dann Durhangöl in ihre Kehle träufeln, bis ihre Augen wie schwarze Perlen waren und sie nicht einmal mehr gehen konnte, geschweige denn denken? Und noch weniger verstehen, was geschah, was sie mit ihr vorhatten?
Während sie über ihrem Körper schwebte, spürte Lächeln die alten Geister herankommen, gierig und schadenfroh. Und irgendwo in den Tiefen jenseits der Bucht wartete der
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