SdG 12 - Der Goldene Herrscher
unermesslich am Tag; die Art und Weise, wie das Land sich über unglaubliche Entfernungen erstreckte, so dass er manchmal hätte schwören können, eine Krümmung der Welt zu sehen, als wäre sie nichts weiter als eine Insel im Meer des Abgrunds. Und so viel Leben, im Gras, am Himmel. Im Frühling erblühten winzige Blumen auf allen Hügeln, während in den Tälern Beeren reiften. Bis zu jenem Tag, da seine Familie den Vorarbeiter des Repräsentanten begleitet hatte, hatte er sein ganzes Leben mit seinem Vater und seiner Mutter, seinen Brüdern und Schwestern, seiner Großmutter und zwei Tanten verbracht - alle zusammengepfercht in einem Haus, das kaum mehr als eine Hütte war, und mit Blick auf eine dreckige, nach Urin stinkende Gasse. Bei den Tieren, die er aus seiner Jugend kannte, handelte es sich um Ratten, blauäugige Mäuse, Meers, Kakerlaken, Skorpione und Silberfischchen.
Aber hier, an diesem außergewöhnlichen Ort, hatte er ein neues Leben entdeckt. Winde, die nicht nach Verwesung und Abfall stanken. Und hier war Platz, so viel Platz. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie die Mitglieder seiner Familie wieder gesund geworden waren - seine zerbrechliche kleine Schwester war nun drahtig und von der Sonne gebräunt, und immerzu fröhlich; der Husten seiner Großmutter war praktisch verschwunden; sein Vater stand jetzt aufrechter, musste sich nicht mehr unter den niedrigen Decken von Hütten und Werkstätten bücken. Erst gestern hatte Abasard ihn zum allerersten Mal lachen gehört.
Vielleicht - wagte sich der Junge an einen ungewohnten Gedanken - gab es ja sogar eine Möglichkeit, sich aus dem Schuldnerdasein herauszuarbeiten, wenn das Land erst einmal umgebrochen und die Feldfrüchte gepflanzt waren. Plötzlich schien alles möglich.
Seine beiden Hunde sprangen an ihm vorbei, verschwanden in der Düsternis vor ihm. Was nicht ungewöhnlich war. Sie hatten Spaß daran, Hasen oder tief fliegende Rhinazan zu jagen. Er hörte einen kurzen Aufruhr im Gras jenseits einer niedrigen Kuppe. Abasard packte seinen Stab fester und beschleunigte seine Schritte - wenn die Hunde einen Hasen erwischt hatten, würde es morgen zusätzliches Fleisch im Eintopf geben.
Als er oben auf der Kuppe angelangt war, blieb er stehen, hielt in der Dunkelheit nach seinen Hunden Ausschau. Sie waren nirgends zu sehen. Abasard runzelte die Stirn. Er stieß einen leisen Pfiff aus, rechnete jeden Augenblick damit, zu hören, wie sie angetrottet kamen. Doch auf seinen Pfiff folgte nur Stille. Verwirrt ließ er sich langsam in die Hocke sinken.
Vor ihm und ein Stück zu seiner Rechten bewegten sich ein paar hundert Rodaras - sie waren jetzt wach und unruhig.
Irgendetwas stimmte nicht. Wölfe? Aber diejenigen, die es hier gegeben hatte, waren von der Reiterei aus Blaurose, die der Vorarbeiter unter Vertrag hatte, schon vor langer Zeit zur Strecke gebracht worden. Sogar die Kojoten waren vertrieben worden, genau wie die Bären.
Abasard kroch vorwärts. Sein Mund war plötzlich trocken, und das Herz hämmerte ihm in der Brust.
Seine freie Hand, die er nach vorne ausgestreckt hielt, berührte weiches, warmes Fell. Einer seiner Hunde, der trotz seiner Berührungen reglos und ohne einen Laut von sich zu geben liegen blieb. Das Fell seitlich an seinem Hals war feucht. Er tastete sich an der Feuchtigkeit entlang, bis seine Finger auf eine klaffende Wunde stießen - dort, wo sich die Kehle des Hundes hätte befinden sollen. Die Ränder der Wunde waren ausgefranst. Ein Wolf. Oder eine von diesen gestreiften Katzen. Aber von Letzteren hatte er bisher nur Felle gesehen, und die waren von weit im Süden, aus der Nähe des Königreichs Bolkando gekommen.
Inzwischen wirklich verängstigt, bewegte er sich weiter und fand wenige Augenblicke später seinen zweiten Hund. Diesem war das Genick gebrochen worden. Ihm wurde klar, dass die beiden Hunde zur gleichen Zeit angegriffen worden sein mussten, denn sonst hätte eines der Tiere gebellt.
Ein gebrochenes Genick … aber keine anderen Wunden, keine Speichelreste am Fell.
Die Rodaras bewegten sich erneut ein halbes Dutzend Schritte zu einer Seite, und er konnte ganz am äußersten Rand seines Sichtfelds ausmachen, wie sie die Köpfe auf den langen Hälsen reckten und die Ohren aufstellten. Aber sie machten keine Geräusche, die auf Angst hingedeutet hätten. Also war da kein bedrohlicher Geruch, keine Panik - jemand hat ihre Aufmerksamkeit erweckt. Jemand, dem zu gehorchen sie gewohnt sind.
Es war kein
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