Sebastian
sicherzugehen, dass sie nicht doch etwas versteckte, was ihr nicht zustand, würde sie den Pfennig nicht lange behalten können.
Also musste sie heute Nacht herkommen, musste sich vom Hof stehlen, nachdem Mutter, Vater und Ewan eingeschlafen waren. Man brauchte eine Münze, um sich am Brunnen etwas wünschen zu können, und es war nicht abzusehen, wann Mutter den Krug mit dem Geld für die Eier wieder umstoßen würde und ein paar Münzen auf den Küchenboden fielen. Mutters scharfen Augen war der Pfennig gleich neben dem Bein des Küchentischs entgangen. Aber Lynnea hatte ihn gesehen - und sich eingeredet, dass die Sonnenstrahlen, die in eben diesem Moment durch die Fenster schienen und den Pfennig in ihrem Schatten verbargen, bedeuteten, dass der Pfennig für sie bestimmt war, um ihr diesen einen Wunsch zu ermöglichen.
Lynnea hielt ihre Hand über den Brunnen und flüsterte: »Ich wünsche mir …« Aber in ihr drängten sich so viele Wünsche, dass sie nicht wusste, welchen sie auswählen sollte. Alles was sie hatte, war dieser eine Pfennig. Vielleicht würde ein Pfennig, den man in den Wunschbrunnen fallen ließ, nur für einen kleinen Wunsch reichen. Aber sie wollte keinen kleinen Wunsch. Was sie wirklich wollte …
Ich wünsche mir, an einem anderen Ort zu leben. Ich wünsche mir, Freunde zu haben. Ich wünsche mir, ich könnte etwas richtig machen, anstatt immer nur das Falsche zu tun, egal wie sehr ich mich anstrenge. Ich wünsche mir, ich würde jemand finden, der anders ist - den ich lieben kann. Ich wünsche mir, dass jemand mich liebt.
Ein seltsames Gefühl erfasste sie, so stark, dass sie vor Schreck die Faust öffnete.
Der Pfennig fiel in den Brunnen, und das Gefühl ließ nach.
Lynnea trat vom Brunnen zurück und wischte sich die Hände an ihrem geflickten Rock ab. Dann blickte sie zum Himmel hinauf und bekam Angst - ein Gefühl, das ihr nur allzu vertraut war. Der Hof lag auf der anderen Seite des Dorfes. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie es nicht schaffen, zurück zu sein, bevor die anderen aufstanden und ihre Abwesenheit bemerkten.
Und während sie sich noch fragte, ob das Risiko, das sie heute Nacht auf sich genommen hatte, ihr wohl etwas Gutes einbringen würde, zog Lynnea den Saum ihres Rockes bis über die Knie hoch und rannte zurück zum Hof.
Sebastian stand am Eingang der Gasse. Die bunten Lichter der Straßenlaternen, die der Hauptstraße des Pfuhls ihren festlich dekadenten Glanz verliehen, reichten kaum bis hier her, fast so, als ob sogar das Licht diesen dunklen Ort meiden würde. Er war ein Dämon. Dies war seine Landschaft. Und trotzdem wollte er nicht tiefer in diese Dunkelheit hineingehen, wollte nicht sehen, was am anderen Ende der Gasse lag.
Aber was er wollte, spielte keine Rolle. Die Zuschauermenge, die dicht zusammengedrängt am Rand der Gasse darauf gewartet hatte, dass Teaser mit ihm zurückkehrte, beobachtete ihn jetzt. Menschen wie Dämonen beobachteten ihn.
Neben ihm streckte Teaser eine Hand aus und griff nach der Fackel, die ihm jemand reichte.
»Ich gehe mit dir«, sagte Teaser mit leerer Miene.
»Auch ich«, knurrte eine Stimme. »Gehe mit dir.«
Die Zuschauer machten dem Bullendämon Platz. Groß, gemein und nicht besonders schlau, kamen sie in den Pfuhl, um sich zu betrinken und den Mädchen grölend beim Tanzen zuzusehen. Die gefährlich gebogenen Hörner konnten einen Menschen durchbohren, und man erzählte sich, dass sie, trotz ihrer rinderähnlichen Züge, rohes Fleisch äßen … rohes Fleisch jeglicher Art.
Dieses Exemplar hielt einen dicken Holzknüppel in den Pfoten, der in einem mit Metalldornen gespickten Ball endete.
Sich mit einem Bullendämon, der eine bösartig aussehende Waffe bei sich trug, in einen engen Raum zu begeben, war ganz bestimmt nichts, was jemand tun würde, der seine sieben Sinne noch beisammen hatte, und so führte die Erleichterung, die Sebastian auf dieses Angebot hin verspürte, ihm besser vor Augen, als alles andere, wie sehr er fürchtete, was man in der Gasse gefunden hatte.
»Danke«, sagte Sebastian. Er schloss für einen Moment die Augen, nahm all seinen Mut zusammen … und betrat die Gasse.
Etwas stimmte hier nicht. Der Boden fühlte sich weich an, fließend …, so als ob er jeden Moment unter seinen Füßen Wellen schlagen könnte.
Nein. Fester Boden bewegte sich nicht, schlug keine Wellen. Ihm war einfach nur schlecht, ein bisschen schwindelig. Und das war verständlich angesichts dessen, was er
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