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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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geglaubt, Valga sei eine rein lettische Stadt. Uns knurrte der Magen. Ilja hatte ein paar Kopeken in der Tasche, und ich besaß nur noch ein Spiel Karten, doch ob das hier jemand haben wollte, wusste ich nicht. Das erste Mal in all den Jahren hatte ich mich nicht auf die Flucht vorbereitet, hatte keinen Proviant, keine Wasserflasche, weder Streichhölzer noch Feuerstahl. Die Esten und Letten verhielten sich zu mir und Ilja höchst argwöhnisch, und bei meinem ersten Versuch, in einer Bäckerei für mein Kartenspiel wenigstens ein Brot zu bekommen, holte ein Mann die Bullen, und schon saßen wir im Milizrevier fest, und das Gemeinste, auf der estnischen Seite.
    Am nächsten Tag wurden wir unter Bewachung zurückgebracht ins Kinderheim von Tartu, wo sie uns wie üblich verprügelten. Eine Woche lang saßen wir im Karzer, dann holten sie mich hinauf ins Zimmer der Leiterin, der alten Tydruku, die mir, unter ihren Führerbildern sitzend, verkündete, dass der Staatsanwalt schon Sehnsucht nach mir habe und die Arbeits- und Besserungskolonie meine lichte Zukunft sei.
    Und tatsächlich, im September landete ich in der verheißenen Kolonie, die am Fluss Emajögi gelegen war, in der Nähe des Peipussees, in einem alten baltischen Gutshof, in dem ich fast ein Jahr lang schmoren musste.
Die Arbeitskolonie
    Der einstige Besitzer des Guts, ein deutscher Baron, hatte das Anwesen in Form einer Festung erbaut. Wir waren umschlossen von mächtigen Feldsteinmauern mit Rundtürmen an allen vier Ecken, in denen Posten mit Gewehr standen und uns vor der Außenwelt beschützten. An das Nord- und das Südtor waren aus roten Ziegeln gemauerte Wachhäuschen mit Öfen und Schornsteinen angebaut. Durch das eine Tor wurden wir hinein-, durch das andere hinausgebracht. Drei Wirtschaftsgebäude aus Stein, genauer, ein Viehstall, eine Scheune und ein Getreidespeicher mit schmalen Schießschartenfenstern, waren umgebaut zu Wohnräumen. In der Mitte jedes dieser Gebäude standen drei gewaltige Kachelöfen, nicht rund, sondern viereckig, mit schwarzen Eisentüren. Sie teilten den Raum in drei Abteilungen. Von den Öfen zur Tür standen auf beiden Seiten des Mittelgangs zweistöckige Holzpritschen. Die an den Öfen waren besetzt von den Kriminellen mit dem Pachan der jeweiligen Abteilung. Anfangs bekam ich einen Platz bei der Tür, wo es am kältesten war, aber mit der Zeit avancierte ich zum Chefheizer, denn unter meinen Händen brannte, dank meinem Lehrer, dem Chanten, sogar nasses Holz, darum wurde ich befördert und durfte in die dritte Pritschenreiheauf die obere Pritsche umziehen, um stets einsatzbereit zu sein.
    Die Arbeit des Heizers ist nicht leicht: vom Hof beizeiten die Scheite für die drei Riesenöfen hereinschleppen, im Winter Eis und Schnee abklopfen, die Asche aus den Öfen schippen und draußen in die Aschekiste schütten, in der Küche unter Aufsicht Späne für das Anfeuern spalten. Äxte und Messer gab es in den Schlafsälen natürlich nicht. Ich musste vor allen anderen aufstehen, noch bei Dunkelheit, um die Kessel fürs heiße Wasser anzuheizen und gegen elf die Öfen warm zu haben. Bei grimmigem Frost musste ich am Abend noch einmal heizen.
    Die Rangordnung der Kriminellen in der Kolonie war viel strenger und grausamer als in normalen Kinderheimen und wurde strikt eingehalten. Sie funktionierte wie in den Gefängnissen für Erwachsene:
    Der Pachan;
    Diebe im Gesetz;
    Diebe, die zu suki * geworden waren;
    Lakaien;
    Frajer *
    Petuchi – verachtete Lustknaben, die neben dem Kübel schlafen mussten.
    Es war alles wie in einem richtigen Staatswesen, nur unterm Dach eines ehemaligen Viehstalls.
    Vor Demütigungen und Misshandlungen schützte mich wieder mein Handwerk. Es war mir gelungen, ein selbstgemachtes Gebetbuch mit in die Kolontai zu schmuggeln; im Verstecken war ich Meister. Dieses Kartenspiel fiel gleich am ersten Abend dem Pachan unseres »Schuppens« in die Hände, und er war ganz wild darauf.Am nächsten Tag beim Frühstück gab er vor den Kriminellen der anderen »Schuppen« damit an und befahl mir, noch zwei Spiele herzustellen. So wurde ich zum Hofkünstler der führenden Gauner. Vom Kartenzeichnen war es nicht weit zum Tätowieren. Bald prangte auf dem Arm meines Chefs eine Tätowierung – ein Grabkreuz mit der Aufschrift »Ich vergesse meine Mutter nicht«. Die hatte ich nach den japanischen Regeln mit meinen acht Nadeln ausgeführt. Die Qualität der Arbeit übertraf bei weitem jede andere Tätowierung in der

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