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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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selbstgemachten Bahnschlüssel. Im Mai sparte ich Proviant, und Anfang Juni türmte ich aus dem NKWD-Chor in Richtung Piter, im Herzen lebenslangen Abscheu gegen jeglichen Chorgesang.
Probleme in Tscherepowez
    Bis Tscherepowez fuhr ich mit Güterzügen, ohne besondere Abenteuer zu erleben. Die Stadt hat eine Unmenge qualmende Schlote. So viele hatte ich nicht mal im Ural gesehen. Beim Anblick dieser Stadt bekam ich eine Vorstellung von der Hölle, von der mir während meiner nun schon so langen Reise alte Dorfweiblein erzählt hatten. Außerdem wimmelte diese Hölle von Wächtern und Polypen aller Schattierungen, jedenfalls zu der Zeit, als es mich dorthin verschlug. Auf dem Güterbahnhof liefen unzählige Kerle in Uniform oder Zivil herum. Unbemerkt zu bleiben war praktisch unmöglich, zumal die Zeit der hellen Nächte war. Zwei Tage lang war ich am Baldowern, um rauszukriegen, wo die Züge nach Leningrad oder dem Baltikum zusammengestellt wurden. Am dritten Tag entschloss ich mich zu handeln. Als die helle Nacht am dunkelsten war, ging ich zu den Zügen, die in meine Richtung fahren würden, und schlich an einemdavon entlang, um einen geeigneten Waggon auszuspähen. Da ertönte plötzlich hinter mir das Gebrüll eines Bahnwächters, der von irgendwo aufgetaucht war.
    »Was machst du hier, du Lümmel?«, hörte ich. »Wirst du wohl stehen bleiben?«
    Ich drehte mich nicht mal um, sondern schlüpfte unter einen Waggon und lief darunter auf allen vieren ein ganzes Stück, rannte dann hinüber unter einen anderen Zug, einen dritten, tauchte unter diesem hervor und erblickte im Schummerlicht Soldaten, die von Militärlastern Kisten abluden und in rotgestrichenen Waggons verstauten. Als ich hinter mir das Trappeln meines Verfolgers hörte, nutzte ich den Moment, in dem die Soldaten weitere Kisten von den Lastern holten, zog mich hoch in den offenen Waggon und verkroch mich zwischen den Kisten. Gleich darauf hörte ich, wie mein Verfolger draußen die Soldaten fragte, ob sie nicht einen Bengel mit Rucksack gesehen hätten.
    »Wer bist du denn, und wie kommst du hierher? Auf dem militärischen Teil des Güterbahnhofs darf sich niemand aufhalten! Verschwinde auf der Stelle! Wir haben Befehl, auf verdächtige Personen zu schießen.«
    »Genosse Leutnant, Genosse Leutnant!«, wandte sich einer der Soldaten an seinen Vorgesetzten. »Was machen wir mit dem Typ?«
    »Ich bin kein Typ, ich gehöre zum Wachpersonal der Bahn.«
    »Sie sind festgenommen!«, schnauzte der Leutnant. »In der Kommandantur können Sie alles erklären. Gehen Sie vor mir her.«
    »Genosse Leutnant, ich habe einen Bengel verfolgt …«
    »Ich wiederhole – erklären können Sie das alles in der Kommandantur. Ich bin verpflichtet, Sie vom Güterbahnhof zu entfernen und der zuständigen Stelle zu übergeben.«
    Sieh an, ich wurde schon gejagt. Der Giftzwerg hatte wohl alle Bahnhöfe des Gebiets Wologda angerufen und gemeldet, dass aus seiner Mustereinrichtung ein zwar kleiner, doch höchst gefährlicher Feind entlaufen sei, den man fangen müsse. Ich wollte grade meinen Schutzengeln danken für die Rettung, da quietschten die Rollen der sich schließenden Tür, und dann knallten die Pufferteller des Militärzugs aneinander, der nach Westen rollte.
Die Reise auf Granaten
    Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schätzte ich die Situation ab, in die mich das Leben gebracht hatte, und ich sah immer deutlicher, dass ich vom Regen in die Traufe gekommen war. Erstens gehörten mein Waggon und der ganze Zug der Armee; zweitens war ich eingesperrt und wusste nicht, wann und wo die Tür geöffnet würde; drittens war der Waggon vollgestellt mit schweren Kisten, die alles Mögliche enthalten konnten, bis hin zu Granaten. Also war ich der einen Gefahr entronnen und in die nächste geraten. Und es gab keinen Ausweg.
    Pennen musste ich auf den Kisten, an die Waggonwand gedrückt. Die Durchgänge zwischen den Gestellen, in denen die Kisten standen, waren sehr schmal.Der Zug fuhr praktisch ohne Halt, und ich konnte nicht erkennen, welche Stationen vorüberlogen. In meinem Rucksack hatte ich gottlob ein paar Würfel Dörrbrot, eine Zwiebel, die ich auf dem Markt in Tscherepowez stibitzt hatte, zwei Kartoffeln, die ich im Lagerfeuer am Fluss Scheksna gebacken hatte, und eine Flasche Wasser. Dieser Reichtum half mir, den vierundzwanzigstündigen Aufenthalt als Gast im Munitionswaggon gut zu überstehen.
    Am zweiten Tag früh am Morgen erwachte ich vom

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