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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Wolkenbruch zu vermeiden.
    »Das ist mir wurscht. Hier helfen wir alle. Wir sind hier draußen in Kritzendorf wie ein Mann. Nehmen Sie die Schaufel!«
    Die Scheinwerfer der Freiwilligen Feuerwehr Kritzendorf und das Blaulicht ließen das Gelände wie ein Filmset wirken. Frank starrte den Mann an.
    »Nehmen Sie die Schaufel! Bitte!«
    Der Friese wankte und fiel. Sein Solidaritätsbuch musste warten. Die einzige Qualität seines Buches: warten können. Er nahm also die Schaufel, zog die Gummistiefel an, die der Nachbar ihm mitgebracht hatte, und ging, nur mit der Unterhose bekleidet, mitten hinein ins Katastrophengebiet.
    In dieser Nacht rettete Frank viele Kanäle. Bewundernd registrierten die anderen Helfer, wie dick die Waden des Neuen waren, die aus den zu engen Gummistiefeln hervorquollen.
    »Das war fantastisch,« erzählte er mit glänzenden Augen. »Wir waren alle klitschnass und haben die ganze Nacht gearbeitet. Alle Kanäle haben wir freigemacht. So viel Schlamm, es war großartig. Tolle Leute, alle zusammen. Dann ging die Sonne auf und wir haben Bier getrunken und Szegediner Gulasch gegessen.«
    »Zum Frühstück? Ungewöhnlich, Kraut und Fleisch zum Frühstück«, sagte ich.
    »Für Männer nicht«, entgegnete Frank. Janssens Melkmaschine lief offenbar in dieser Nacht wie von selbst. Sie molk keine Buchstaben, aber große Gefühle.

Die Zeitungskolporteure hatten kleine
    Eiszapfen an der Nase und in den Wimpern. Sie standen überall in der Stadt im eisigen Wind. Traurige Gestalten. Der Herausgeber der Kronenzeitung hatte kurz zuvor, im Sommer 1996, erfolgreich im Parlament interveniert, als ein Gesetz beschlossen werden sollte, wonach die Zeitungsverkäufer sozialversichert werden müssten. Die Nase hochziehend und heiser priesen die nicht versicherten Inder und Ägypter ihr Angebot an.
    Die Luft sah silbrig aus, man sah ihr die Kälte an. Wien war kältefarben. Wir saßen in Roberts Fiat 127. Ich wollte die Scheibe runterkurbeln, um einem eingefrorenen Kolporteur eine Zeitung abzukaufen, aber die Scheibe ließ sich nicht bewegen. Robert hatte den Wagen für 5000 Schilling bekommen, 700 Mark. Die Bremsen funktionierten nicht, nur die Handbremse. Deswegen fuhr Robert sehr langsam. Die Heizung war ebenfalls defekt, und im Wagen roch es trotz der Kälte unangenehm nach einem Tier, das sich im Motor aufgelöst hatte.
    Auf dem Rücksitz saß Spön. Er war so schmal, dass man ihn im Rückspiegel kaum sah. Neben dem Auge klebte ein Pflaster. Offenbar war er beim Rasieren ausgerutscht.
    Spön war schlecht gelaunt. Er hatte ein Puch-Moped, bei dem er das Öl vor wenigen Tagen hatte wechseln wollen, kurz bevor der Schnee fiel. Da er völlig untalentiert war, was technische Dinge betraf, war er erstaunt gewesen, dass er die Ablass-Schraube in der Ölwanne gefunden hatte. Und tatsächlich, sie ließ sich öffnen. Spön war so fasziniert davon, dass er vergaß, dass das Öl jetzt auch herauskam. Es schoss geradezu aus der Wanne. Spön versuchte das Öl mit der Hand aufzufangen, was natürlich vollkommen sinnlos war. Schnell entstand ein riesiger Ölsee. Er sah noch, wie ein Autofahrer im Vorbeifahren das Fenster öffnete, und er glaubte, auch eine Zigarette im Flug gesehen zu haben – jedenfalls stand sein Moped im Nu in Flammen. Hätte es da schon geschneit oder zumindest geregnet, hätte er die Puch vielleicht retten können. Aber es war ein trockener Tag. Die Puch brannte völlig aus.
    Deshalb brachten wir Spön nun nach Kagran. Die Straße war glatt, und Roberts Auto hatte Sommerreifen. Die Handbremse hielt er mit der rechten Hand fest umklammert.
    Wir bogen am Schwarzenbergplatz ab und fuhren am beleuchteten Russendenkmal vorbei. Es dämmerte bereits. Die verbogenen Scheibenwischer des Fiats führten einen vergeblichen Kampf gegen die dicken Schneeflocken. Wir hielten am Rennweg an und stiegen aus, um die Scheibenwischer zu unterstützen. Draußen war es wärmer als im Wagen.
    »Wieso fahren wir hier entlang?«, fragte Spön genervt. »Wir müssen über den Praterstern fahren und dann über die Reichsbrücke.«
    »Ich hab für unseren deutschen Freund noch eine Überraschung«, sagte Robert. Frierend stiegen wir wieder ein und fuhren die Simmeringer Hauptstraße stadtauswärts. Der Schneefall nahm zu. Neben der Straße wechselten sich Gebrauchtwagenhändler und Grabsteinanbieter ab.
    »Das ist praktisch«, sagte ich mit vor Kälte bebender Stimme. »Beim einen kaufst du ein Auto wie das hier, und wenn deine

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