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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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fragte der und betrachtete den schmalen Architekturstudenten mitleidig. Spön nahm eine Schneeschaufel und schlug sie dem überraschten Mann auf den Fuß.
    Neben der Hütte stand ein mürrischer Mann in einer orange-weiß reflektierenden Arbeitsjacke. Er beendete die sich anbahnende Schlägerei mit bemerkenswerter Routine. Offenbar waren Handgreiflichkeiten hier an der Tagesordnung.
    »A Ruh is jetzt! Meldezettel, Sozialversicherungskarte und Lichtbildausweis! Mindestalter achtzehn Jahre! Net drängeln! Heut Nacht kummt jeder dran!«, rief er und blickte in den Himmel, der all seinen Schnee loswerden zu wollen schien.
    Spön zog sich die warme Mütze tief ins Gesicht, und wir verabschiedeten uns. »Das war echt super an der Tanke!«, rief er uns noch nach. Dann verschwand er hinter einer weißen Wand.
    »Wohin bringen die eigentlich den ganzen Schnee?«, fragte ich. »In die Alpen?«
    Robert lachte. »Mit weit schießenden Schneekanonen, oder was? Nein, die kippen den Schnee in die Donau. Kein Wunder, dass die stromabwärts in Eckartsau ständig Hochwasser haben, was?«
    Robert studierte zu diesem Zeitpunkt, Mitte der 90er Jahre, alles, was mit »P« beginnt: Publizistik, Psychologie, Philosophie und Politikwissenschaften. Er hatte sogar kurz überlegt, Pferdewissenschaften an der Boku, der Universität für Bodenkultur, zu studieren. Die Studentinnen dort hatten in ihrem Leben mehr Pferde gezeichnet, als Robert in Form von Leberkäse jemals essen konnte.
    Sein Studium nahm er nicht allzu ernst. Tatsächlich lebte er schon Ende der 80er Jahre ganz gut von seinem Schlamm. Als er von seinem Zivildienst in Israel nach Wien zurückkam, erzählte er seinem Schulfreund Hirsch vom Toten Meer und den vielen Hautkranken, die sich dort Linderung erhoffen. Hirsch, ein sehr pragmatischer Mensch, fuhr nach Tel Aviv, und mit erst Anfang zwanzig hatten Robert und er bereits eine Garage voll mit Schlamm und Salz in kleinen Paketen. Sie inserierten in österreichischen Tageszeitungen und priesen ihre Badesalze, Shampoos und Körperlotionen an, allesamt original vom Toten Meer und natürlich dermatologisch getestet. Sie eröffneten ein kleines Ladenlokal in der Hütteldorfer Straße neben einem thailändischen Massagesalon und verkauften Schlammseife und Schlammhaarmasken. Die Thailänderinnen waren ihre ersten Kundinnen. »Entfernt Unreinheiten und überschüssige Talgabsonderungen«, lobpreiste Hirsch seine Produkte vor den Augen der nur anfangs skeptischen Asiatinnen. »Schönheitsmasken nähren die Oberhaut tiefenwirksam. Vielleicht eine Hals- und Dekolleté-Maske für die zarte Haut?«
    Siebzig Prozent der Einnahmen flossen an ihre Geschäftspartner in Israel, und weil Hirsch den Laden als Fulltime-Job sah, entschied er, dass nach Abzug aller Kosten eine weitere Siebzig-dreißig-Lösung das Fairste wäre. »Siebzig Prozent für mich, dreißig für dich.« Robert schlug ein.
    Hirsch war ein Verkaufsgenie. Immer mehr Frauen kamen und ließen sich von ihm Lösungen gegen Krähenfüße, Augenringe, Tränensäcke, rissige Lippen und Schuppen andrehen. »Das Tote Meer ist der älteste Kurort der Welt«, dozierte er während seiner Verkaufsgespräche. »Schon Kleopatra badete hier und wir geben Kleopatras Geheimnisse an Sie weiter, Gnädigste. Durch die Verschiebung der Erdmassen ist warmes Quellwasser durch uralte Schichten von Steinen und Erde gebrochen, die reich an Mineralien waren. Diese verborgenen Mineralien stecken im Schlamm und Salz des Toten Meers.«
    Aus einem Topf holte er dann oft einen Schlammklumpen heraus und strich ihn Robert, der gelegentlich als Model herhalten musste, in Gesicht und Haar. »Das Tote Meer«, fuhr er fort, »hat die höchste Konzentration an Mineralien weltweit. Magnesium, Kalzium, Potassium!« Das Wort »Potassium« sprach er besonders bedeutsam aus, weil er wusste, dass unbekannte Fremdwörter eine fast magische Wirkung haben. »Strontium! Boron! Und Eisen – alles in außergewöhnlicher Konzentration. Normales Meerwasser besteht zu 3,5 Prozent aus Mineralien. Wie viel, glauben Sie, hat das Tote Meer?«
    Die Thailänderinnen schauten ihn fragend an, vielleicht auch, weil sie von allem, was Hirsch verkündete, nur die Hälfte verstanden.
    »Doppelt so viel? Dreimal so viel? Was glauben Sie?«
    »Ja, ich nehme«, sagte spätestens zu diesem Zeitpunkt eine der mineralunkundigen Thais.
    »Zehnmal so viel.« Hirsch initiierte den Kaufakt gerne mit einer Pointe. »Das Tote Meer besteht zu 35 Prozent

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