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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Bremsen versagen, kaufen deine Angehörigen daneben einen Grabstein.«
    »Da vorn ist der Zentralfriedhof«, sagte Spön.
    »Noch praktischer.«
    Durch den Schnee konnte man fast nichts erkennen.
    »Wenn’s Nacht wird über Simmering, kommt Leben in die Toten!«, sang Spön. Sein dicker Skianorak gab quietschende Geräusche von sich. Ich beneidete ihn um seine warme Mütze, aber nicht um das, was ihn erwartete.
    In Wien hatte die FPÖ plakatiert: Wien darf nicht Chicago werden . Sie hatte das nicht auf den Wind gemünzt, sondern auf die Kriminalität. Das hatte immerhin für internationales Aufsehen gesorgt. Der Bürgermeister von Chicago hatte empfindlich darauf reagiert und verlautbaren lassen, dass er niemals in Wien leben wolle, »einer scheintoten Stadt, wo der lebendigste Ort noch der Zentralfriedhof sei«.
    Ich versuchte die Hausnummern zu erkennen. Wir waren fast bei Nummer 500 angekommen.
    »Wie lange fahren wir noch?«, fragte ich.
    »Wir sind schon da«, sagte Robert und bog in eine Tankstelle ein. »Voilà!«
    Er stieg aus und tankte ein paar Liter. Fünfzig Schilling zeigte die Zapfsäule an.
    »Und?«, fragte ich. Ich war enttäuscht. Eine Tankstelle im Schnee war nichts, was mich wirklich umwarf. Das Ganze erinnerte mich an einen Ausflug im Mittleren Westen der USA, wo meine Gasteltern mit mir 200 Meilen fuhren, um mir dann stolz ein fast hundert Jahre altes Holzhaus zu präsentieren.
    Robert gab mir einen Fünfzig-Schilling-Schein. »Geh du rein zum Zahlen.«
    »Wahnsinnig tolle Überraschung«, sagte ich, nahm das Geld und stapfte durch den dichten Schnee ins Tankstellengebäude. Eine ganz normale Tankstelle. Der Tankwart war um die vierzig, blond und trug einen Mittelscheitel. Ein freundlicher Mann. Ich zahlte und ging zurück zum Fiat.
    »Und?«, fragte Robert.
    »Ja. Ich hab’s geschafft. Ich hab bezahlt. Ich kann’s«, moserte ich.
    »Hast du ihn erkannt?«, fragte Robert, und ich merkte, wie er sich freute.
    »Nee. Keine Ahnung. Ich kenn den Mann nicht.«
    »Erich Obermayer!«, rief er.
    »Wirklich? Das ist er?« Spön wischte angestrengt an der Scheibe, um einen Blick auf das Tankstellenhäuschen werfen zu können. Ich blickte die beiden ratlos an.
    »Erich Obermayer war der Libero! In Córdoba. Er hat euch besiegt!«, rief Robert und lachte. Er schlug seine Hand in die von Spön.
    »Unfassbar!«, seufzte Spön. Robert nickte, und als wir langsam wegfuhren, blickten beide verzückt zurück.
    »Ich hab ja gewusst, dass er das ›Café Libero‹ in Meidling hat, aber das hier hab ich nicht gewusst«, sagte Spön. »Der war echt ein unglaublicher Kicker. Nicht so wie die Deutschen: Elf Panzer müsst ihr sein. Nein, elegant: Schupfen, Ferserl, eins, zwei, drei. Der Obermayer, ’s Schneckerl, der Krankl und wie sie alle heißen, Pezzey, Sara, Kreuz, Krieger, Strasser, der Schoko Schachner …« Er schnalzte mit der Zunge.
    Robert suchte im Rückspiegel Spöns Blick und nickte. Triumphierend schaute er mich an. »Net schlecht, was?«
    »Ich war einmal in München in dem Zeitschriftenladen von Katsche Schwarzenbeck. Weltmeister ’74«, sagte ich, aber darauf gingen die beiden nicht ein. Sie schwelgten still in ihren Erinnerungen.
    »Du brauchst etwas, das eine Bedeutung hat«, sagte Robert. »Und eine Wirkung. Es war wichtig, dass Deutschland 1978 wegen uns nach Hause fahren musste. Weil wir euch geschlagen haben! Das kleine Österreich – und plötzlich können wir in der großen Welt was bewegen, verstehst du?«
    Schemenhaft leuchtete das Riesenrad durch das dichte Schneetreiben. Von der Reichsbrücke aus wirkte die ganze Stadt wie lahmgelegt, wie eine Tiefkühltorte. Seit dem Vortag waren vierzig Zentimeter Neuschnee gefallen.
    In Kagran bogen wir ab. Beim Abgang Anton-Sattler-Gasse hatte sich eine Menschenschlange vor einem kleinen Anmeldehäuschen gebildet. Auf einer Informationstafel der Magistratsabteilung 48 stand: Aufnahmeort für Schneearbeiter – Arbeitszeit von 22.00 – 06.00 Uhr, 50 Schilling/Stunde .
    Wir stiegen aus und begleiteten Spön zu der Schlange. Es waren sicher an die hundert Menschen, die anstanden. Ihr Atem war zu sehen, sie klopften sich auf die Arme, um die Durchblutung anzuregen.
    Offenbar hatte Spön unvorsichtigerweise einen in der Schlange überholt. »Schleich di, oda i daschlog di. I woar vor dir do!«, schallte es durch die Kälte.
    »Ich würde ihn nicht reizen«, sagte Robert zu dem massigen Schreihals.
    »Wos? Vor dem Zniachterl soll i mi fürchten?«,

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