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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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dem Meldezettel in einen Schrank, unter die Schlammpackungen, so dass er nicht davonfliegen konnte. Mir war klar, dass ich damit eine Entscheidung getroffen hatte. Der Schlamm garantierte, dass ich für immer hierblieb.
    Die Straße glitzerte. Das Blitzeis hatte aus der Stadt eine einzige große Eislaufbahn gemacht. Wie auf Eiern wackelten die Menschen durch Wien und plumpsten durcheinander. Die Autos krochen und krachten doch ineinander. Obwohl es erst Mittag war, wurde die Straßenbeleuchtung eingeschaltet. Ich rutschte langsam den Getreidemarkt hinauf und blickte hinunter auf die goldene Kuppel der Secession, die unscharf im diesigen Licht hing. Von dort eierte ich hinauf zum Denkmal von Maria Theresia, deren gebärfreudiges Becken kaum unter ihre weiten Röcke passte. Zwischen den getrennten siamesischen Zwillingen – dem Kunsthistorischen und Naturhistorischen Museum – hindurch überquerte ich den Ring zum Heldenplatz. Von dort ging ich am Reiterdenkmal für den schwulen Prinzen Eugen vorbei zur Michaelerstiege. Am Kohlmarkt drehte ein Filmteam. Scheinwerfer warfen ein unwirkliches Licht auf die Szene, das sich auf dem Kopfsteinpflaster spiegelte. Am Kohlmarkt hatte mich einmal während eines Interviews der Dackel von Pavel Kohout in den Knöchel gebissen. Als das Interview ausgestrahlt wurde, hörte man einen plötzlichen Schmerzensschrei. Das war ich. Der Schrei war mein erstes Lebenszeichen im Radio. Wer schreit, braucht kein »Frühstücksei«. Im Schmerz sind Deutsche und Österreicher gleich.
    Die Spanische Hofreitschule lag düster da, vor dem Palais Pallavicini schnaubte ein Fiakergespann. Es roch nach kaltem Nebel. Die Stadt war eine Filmkulisse, aber ich kein Darsteller. Ich bog nach links in die Bräunergasse ein, am Bräunerhof vorbei, wo Thomas Bernhard oft saß und stundenlang einen kleinen Braunen trank.
    »Weil man nicht im Kaffeehaus sitzt, um Kaffee zu trinken«, hatte Toni mir vor Jahren erklärt. Zum Geburtstag hatte sie mir aus London eine Postkarte geschickt. Hirsch war dabei, die Welt komplett einzusalzen und vollzuschlammen. Sie wünschte mir alles Gute. Robert ließ sie grüßen.
    Am Graben ging ich an der Pestsäule vorbei und am Meinl am Graben, dessen Besitzer Julius Meinl V. so aussieht, wie Tatjana aussähe, wenn ihre Vorfahren ausschließlich Bruder und Schwester geschwängert hätten. Da fiel mir ein, wie Robert mir einmal von seinem ersten Samenerguss erzählt hatte. Er hatte ihn nicht als Samenerguss wahrgenommen, weil er damit gerechnet hatte, dass Samen wie Blumensamen aussähe. Kleine Körner, aber nichts Flüssiges. Noch mit sechzehn hatte er geglaubt, noch niemals einen Samenerguss gehabt zu haben.
    Über die Naglergasse ging es weiter zur Herrengasse, am Palais Ferstl und dem Palais Kinsky vorbei zum Schottentor. Dann die Währinger Straße hinauf, rechts in die Strudlhofstiege, auf dem Weg hinauf zum Palais Liechtenstein. Auf den letzten Stufen rutschte ich aus und stürzte hinunter auf die Boltzmanngasse.
    »Dirk?«
    Ich sah auf. Sophie stand vor mir, einen langen Schal um den Hals gewickelt. Für ihre kleine Mütze hatte sie viel zu viele Haare. Sie streckte mir ihre Hand entgegen.
    »Was tust du denn hier?«, fragte sie.
    »Ich habe Geburtstag und schaue mir zum Geschenk die Stadt an«, sagte ich und zog mich vorsichtig an ihr hinauf.
    »Dann ist das mein Geschenk«, sagte sie und gab mir einen Kuss. Am Anfang hatte ich das Gefühl, sie beobachte aus den Augenwinkeln die Zeitungskolporteure. Aber dann sah ich, dass sie die Augen schloss.

»Wien – the bottle is the message«,
    lallte Franz. Die Wiener Todessehnsucht ist oft nur ein Kater. In Wien gelten Wein und Bier nicht als Alkohol. Ist man nicht schwer betrunken, sondern ahnt noch, wohin man torkelt, spricht man verächtlich vom »Damenspitz«. Das Begrüßungsviertel kommt vorm Fluchtachterl, das schnell zum Fluchtviertel wird, mit dem man den Fortgang des Abends begrüßt.
    »Jeder deutsche Kartoffelsalat macht seine Sache im Ausland besser als du«, hörte ich ihn sagen. Natürlich sprach er die Worte nicht deutlich aus, sondern er verschlierte und verspuckte sie hustend. Sie wurden gebildet aus bitterer Magensäure und Tabakresten. Teile einer eitrigen Wurst klebten an seinen Mundwinkeln, und ich wusste, heißa, ihm geht’s gut.
    Franz umarmte einen dicken Baum, sein Gemächt hing traurig aus seiner heruntergelassenen Hose, als hätte es noch nie bessere Zeiten gesehen – ich bin ein Wiener Schwanz,

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