Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
den die Novaks nicht mochten, deshalb sagte Grete Novak: »Der Figl kriegt da nix. Der soll sich schleichen.« Und der Staatsvertrag-Figl musste sich woanders etwas zum Essen suchen. »Österreich isst frei, aber nicht hier«, wird er sich gedacht haben, als er sich hinausbegab.
Inzwischen galt das gleich hinter dem Konzerthaus und dem Akademietheater gelegene Restaurant als schicke Wiener Lokalität, wozu auch ein Bild an einer der Wände beitrug, das vielleicht von Hermann Nitsch stammte, wenigstens aber diesen Eindruck vermitteln wollte. Berühmtheit erlangte das Lokal durch seine Besitzerin Grete Novak, die den Stammgästen nicht nur durch ihre geröstete Leber in Erinnerung blieb , hieß es in einem Prospekt über den »Gmoa-Keller«. Zumindest Figl hätte das bestätigen können.
»Hat sie ihre eigene Leber geröstet und den Leuten serviert?«, fragte Klaus aka DJ Merchant of Venice und legte den Prospekt neben die Speisekarte auf den Tisch. »Oder hatte sie selber eine geröstete Leber? Oder ist es nur unglücklich formuliert?«
Agnieszka lachte. »Ich hoffe, es gibt nicht dein Hirn mit Ei. Ist eine so kleine Portion, reicht nur für Vorspeise.«
»Te wadna iestes«, sagte der DJ zärtlich und gab ihr einen Kuss auf den Mund.
Der alte »Gmoa-Keller« hatte einen schwarz geölten Fußboden, grün gestrichene Fenster und holzverkleidete Wände, an denen Garderobenhaken angebracht waren. Grete Novak betätigte die viel zu hoch angebrachten Elektroschalter mit einem Schürhaken, schlurfte grau und verwachsen in einem Bäuerinnenkittel durchs dunkle Lokal, und wenn ein eindringender Gast ihr nicht gefiel, sagte sie »Alles besetzt«, selbst wenn das Lokal völlig leer war. Oder sie sagte »Mia ham Ruhetag«, auch wenn viele Tische offenkundig besetzt waren. Unsympathisch war man ihr schnell, dafür musste man nicht Figl heißen.
Als ich mit Robert 1988 das erste Mal im »Gmoa-Keller« war, kellnerten dort die drei ungarischen Verwandten der Novak: Roszi, Marika und Vera. Messer und Gabel servierten sie uns mit dem Wort »Äsbästäg«. Wir aßen gebratene Blutwurst mit Sauerkraut und bestellten zum Nachtisch Kastanienreis. Die alte Novak hörten wir aus der Küche schimpfen, dann kam sie angeschlurft und knallte uns zwei Teller mit gerösteter Leber auf den Tisch. »Als Dessert?«, fragte Robert vorsichtig. »Ja«, antwortete sie und schlurfte in die Küche zurück. Zehn Jahre später und grantiger als je zuvor wurde ihr das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich für ihre »anerkennenswerten Verdienste für
die heimische Beisl-Kultur« verliehen. Nun saßen wir also zwanzig Jahre später bei einer verdienten Wirtin der Republik.
»Lou ist übrigens von polnischen Fußballfans zusammengeschlagen worden«, erzählte DJ Merchant mir. »Ich hab ihn getroffen, er hatte eine aufgeplatzte Lippe, und ein Backenzahn fehlt ihm. Die dachten, er sei Deutscher, weil er schwarz gekleidet war und dieses gelb-rote Stirnband trug. Mitten im 1. Bezirk. Am Graben bei der Pestsäule haben sie ihn angepöbelt.«
»Wie passend«, sagte einer der Zwillinge, entweder Mathias oder Max.
»Lou ist ja nicht der Schnellste. Etwas aus der Form geraten, der Arme. Trotzdem hat er es geschafft bis zum Stephansdom. Er hat dort den Ring angegriffen und gedacht, damit sei er im Leo. Aber die Polen kennen die Geschichte nicht und haben ihn geschlagen.«
Die Geschichte bestand darin, dass sich unter dem Nordturm des Stephansdoms an einer Portalsäule des Adlertors ein Eisenring befand, der sogenannte »Asylring«. Der Ring hieß auch »Leo«, weil Leopold VI. diesen Ort als Zufluchtsort einst bestimmt hatte: Wer sich zu Unrecht verfolgt fühlte, konnte durch das Berühren des Rings Schutz vor Verfolgung finden. Noch heute riefen Kinder in Wien »Leo«, wenn sie Fangen spielten und in einen gesicherten Bereich gelangten. Lou hatte sich leider vergeblich in einem solchen gewähnt.
»Was hat Lou dazu gesagt?«, fragte ich.
»Du kennst ihn ja. Er nahm die Schläger in Schutz. Sie hätten schließlich nicht wissen können, dass er gar kein Deutscher sei«, sagte der DJ.
»Ach. Und wenn er Deutscher wär, dann wär’s in Ordnung gewesen?«, fragte ich.
»Ja«, riefen Klaus, Agnieszka und die Zwillinge fast gleichzeitig.
Auf dem Tisch lag eine Abendausgabe vom Kurier , der seine Leser auf das bervorstehende EM-Spiel der Österreichischen Nationalmannschaft gegen Deutschland einstimmte. Hans Krankl fordert: Vergesst Córdoba! stand in
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