Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Gesicht. Sie sah aus wie eine feurige PLO-Kämpferin.
»Entschuldigung. Ich wollte niemanden erschrecken«, sagte sie und trat aus dem Unterholz. Sie schüttelte sich die Natur vom Körper und strahlte. »Ich bin auf der Suche nach Quellschneckenarten.«
»Ich bin Deutscher«, rutschte es mir heraus.
»Sophie!« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Sie hatte einen klaren Händedruck. Nicht verschwommen, sondern warm und klar.
»Wir machen gerade eine Exkursion«, sagte sie. »Weißt du, was Endemiten sind?«
Die Frage traf mich etwas unvermittelt. »Nein, keine Ahnung. Magst du dich zu uns setzen? Wir trinken was da oben, ein Freund hat Geburtstag. Wir sind mit einem Kanu hier.«
»Warum nicht?«, antwortete sie.
Wir kletterten das Ufer empor und setzten uns zu den anderen.
»Schau mal«, sagte Sophie und öffnete ihre Faust. »Ein blinder Höhlenkäfer. Das ist ein Endemit. Den gibt’s nur hier. Der einzige Ort auf der ganzen Welt, an dem man ihn finden kann. Ein Endemit«, wiederholte sie und streichelte den kleinen Käfer mit der Spitze ihres Zeigefingers. Endemit, so erklärte sie weiter, sei die Bezeichnung für Arten, die nur in einem eng begrenzten Gebiet vorkommen, wie zum Beispiel die Galapagos-Schildkröten oder die Lemuren Madagaskars.
Tatjana lag mit Spön etwas abseits. Sie küssten sich.
»Soll ich schon mal Farbe besorgen? Und Pinsel?«, rief Robert den beiden zu. Als er Sophie und mich sah, sagte er: »Ich hab Geburtstag – und alle anderen kriegen Frauen. Dirk findet sie sogar im Wald!«
»Das ist Sophie«, sagte ich und hatte sofort das Gefühl, dass ich diesen Satz gern sagte.
Wir tranken zusammen, und Sophie erzählte von ihrem Studium und von den Endemiten.
» Endemos ist griechisch und heißt einheimisch«, dozierte Tatjana assistierend.
»In keinem anderen Land Mitteleuropas findet man so viele Endemiten wie in Österreich«, ergänzte Sophie. »581 Tierarten und 167 Pflanzenarten kommen ausschließlich in Österreich vor und nirgendwo sonst auf der Welt. Darum muss man sie schützen. Ausgestorben in Österreich hieße, weltweit verloren.«
»Und warum gibt es so viele bei uns?«, fragte Robert. Der Gedanke behagte ihm offensichtlich. Sechs Österreicher unter den ersten fünf im Endemitenwettkampf.
»Die einheimischen Endemiten besiedelten bevorzugt die während der Eiszeit wenig vergletscherten Randbereiche der Alpen, wo sie überdauern konnten und bis heute kleinräumig verbreitet sind.«
»Kleinräumig ist ja wohl fast alles in Österreich«, sagte Frank.
»Oft kommen sie in sensiblen Extremlebensräumen vor, also zum Beispiel in kalten Quellen,« fuhr Sophie fort, »aber manchmal auch in Thermalbächen wie dem Hansybach in Bad Vöslau; der hat das ganze Jahr über konstant 25 Grad Wassertemperatur. Aber meistens leben sie auf 1700 bis 2000 Meter Höhe. Die meisten österreichischen Endemiten finden sich unter den Wirbellosen.«
»No na, ohne Rückgrat. Das wundert mich nicht. Heil Hitler, ihr Käfer«, knurrte Robert.
»Diese Extremlebensräume sind Experimentierstuben der Evolution«, sagte Sophie und trank ihr Glas aus.
»Österreich ist eine einzige Experimentierstube der Evolution«, rief Spön aus dem Hintergrund.
»Nichts in der Biologie hat einen Sinn, außer im Licht der Evolution«, sagte Sophie.
»Und Fußball? Was hat Fußball dann für einen Sinn?«, fragte Frank, der Jahre später auch in Drosendorf an der Thaya an seinem Buch schreiben sollte, Mohn im Mund, im »Moka« vergeblich darauf wartend, dass Janssens Melkmaschine ansprang.
»Sich zu hassen, ohne einander in Stücke zu reißen, das ist Fußball«, erwiderte Robert.
Auf dem Rückweg verhielten wir uns ganz vorsichtig. Sanft zogen wir die Paddel durch das ruhige Wasser, um keine Endemiten zu verletzen. Aber was war mit mir? Ich spürte ein klaffendes Loch in meinem Panzer, und niemand schützte mich. Aber warum auch? Mir war klar: Ich wollte sie wiedersehen.
Aber one und oui?
Außenminister Leopold Figl, der nicht
unerheblich an der Ausarbeitung des Staatsvertrags beteiligt gewesen war und diesen 1955 mit den Worten »Österreich ist frei!« bejubelte, wollte kurz darauf im »Gmoa-Keller« am Heumarkt zu Abend essen. Er geriet an die Schwester von Grete Novak, die das Lokal betrieb und auch in der Küche stand. »Eine gröstete Leber fürn Figl«, rief die Novakschwester in die Küche. Die Novaks kamen aus Ödenburg an der österreichisch-ungarischen Grenze. In Ödenburg gab es einen Figl,
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