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Sechseckwelt 05 - Dämmerung auf der Sechseck-Welt

Titel: Sechseckwelt 05 - Dämmerung auf der Sechseck-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack L. Chalker
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nicht die eines gottähnlichen Geschöpfes gewesen, das er ohne Zweifel war, sondern sie vermittelten eine unfaßbar tiefe, qualvolle Einsamkeit, so schmerzhaft, daß sie kaum zu ertragen war. Mitleid überwältigte sie, und sie trauerte darum, daß solche Größe so viel Elend und Qual zu tragen hatte. Die Tiefe des Elends war so unermeßlich wie seine gottgleiche Größe und Macht, so stark, daß sie davor zurückscheute, wieder hinauszugreifen, Verbindung herzustellen, aus Angst, die grauenhafte Qual könnte sie vernichten. Da weinte sie um Nathan Brazil, und im Weinen begriff sie endlich die Wesenstragik in ihm.
    »Hab keine Angst«, sagte er leise, sich wieder darbietend. »Ich habe es jetzt besser in der Hand. Aber du mußtest es wissen. Du mußtest begreifen.«
    Zögernd griff sie wieder hinaus, und diesmal war es erträglicher. Aber es war ein viel zu großer Teil von ihm, um ganz verdrängt zu werden; es durchtränkte sein ganzes Wesen, das Innerste seiner Seele, und selbst der Anhauch war beinahe zu vernichtend.
    Nun begann er zu sprechen. Nein, nicht zu sprechen, zu übertragen, direkt auf sie, mit der Schnelligkeit seines Denkens, das gesammelte Wissen von Nathan Brazil über das Funktionieren des Schachtes der Seelen, die Markovier-Physik, die Geschichte der Experimente, alles über Gesellschaft, Unternehmen und Ziele der Markovier. Und sie begriff, was er mit ihr getan hatte, erkannte zum erstenmal, daß auch sie eine Markovierin war und, was die reinen Erkenntnisse über den Schacht betraf, ihm gleichgestellt. Erkenntnisse, ja, aber keine Erfahrung, niemals Erfahrung. Denn die Erfahrung war untrennbar verwoben mit der grauenhaften Qual, die er durchlitt, und vor der er sie schützte, so gut er konnte.
    Endlich war es vorbei, und er zog sich aus ihr zurück. Sie wußte nie genau, wie lange es gedauert hatte; einen Augenblick, eine Million Jahre, man konnte es nicht sagen. Aber nun kannte sie sich aus, wußte, womit er sich auseinandersetzen mußte, begriff, was ihr bevorstand, und wußte genau, was sie zu tun hatte. Sie begriff auch, daß er, um sie zu einer Markovierin zu machen, sie unmittelbar in den Primärcomputer eingespeist hatte, in das große Computerprogramm selbst. Sie war jetzt wie er und würde es bleiben, bis sie selbst die Daten im Supergehirn der Markovier löschte.
    »Ich möchte, daß du kurze Zeit hier bleibst, bevor wir weitermachen«, sagte er. »Überprüf die Kontrollräume, lies die Meßergebnisse ab, sieh dir den Schacht der Seelen und das, was er hervorbringt, an. Bevor wir abschalten, mußt du wissen, was du zerstörst.«
    Sie kannte die Regler nun, wußte sie zu gebrauchen. Langsam betrachteten sie gemeinsam das Universum.
    Die Anlagen waren unfaßbar komplex und sprachen zu ihrem neuen Markovier-Gehirn mit seiner scheinbar unbegrenzten Aufnahmefähigkeit für Daten und ihre blitzschnelle Verarbeitung, so daß es leichtfiel, das Bekannte und das Unbekannte zu überblicken. Die Zeit verlor jeden Sinn für sie, und sie begriff, daß sie an sich keinen besaß, jedenfalls nicht für einen Markovier. Der Begriff allein war nicht mehr als ein mathematischer Behelf, anwendbar nur für einzelne umgrenzte Bereiche zu Meßzwecken. Sie hatte für sie beide keine Wirkung und damit keinen Sinn mehr, jetzt nicht mehr.
    Sie sah Rassen, die quälend vertraut erschienen, und Rassen, fremdartiger als alles, was sie je gekannt oder erlebt hatte. Sie sah auch solche, die sie kannte: die Dreel, die dies alles ausgelöst hatten, die Menschheit, die Rhone, die Chugach und alle anderen. Es gab auch noch mehr, eine unglaubliche Zahl von ihnen, so viele einzelne denkende Wesen, daß es bedeutungslos wurde, sie aufzuführen.
    Aber sie waren das Leben. Sie wurden geboren und wuchsen auf, lernten und liebten, und wenn sie starben, hinterließen sie ihren Kindern und diese den ihren ein Vermächtnis. Vermächtnisse der Größe, Vermächtnisse von Niedergang und Tod, Dinge, die ebenso herrlich wie grauenhaft waren, und das oft zur gleichen Zeit. Was sie sah, war Geschichte und Vermächtnis des markovischen Menschen.
    Aber es gab Bereiche rund um den großen Kontrollraum der menschlichen Sechsecke, die zerstört oder ausgebrannt waren. Andere Abschnitte hatten umgeschaltet, darum bemüht, die Leistung mit zu übernehmen, aber die Belastung war zu groß für sie, und auch sie brannten aus und vergrößerten die Beanspruchung der anderen noch mehr. Im Schacht der Seelen wucherte ein Krebs, den er selbst nicht

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