Sechseckwelt 05 - Dämmerung auf der Sechseck-Welt
erleiden als den Tod. Man würde ihre Gehirne löschen und sie als Spielzeug für die herrschenden Familien gebrauchen. Es gab keine Garantien für mich, wenn ich mich ergab, auch nicht für sie, aber auch keinen Weg, sie zu befreien. Ich entfloh, ging hinaus in die Wüste, wurde eine Art Eremit, schleuste aber auch Flüchtlinge aus meinem Volk, denen es gelang, zu entkommen, in sicheren Unterschlupf.«
»Du hast keinen Rachefeldzug geplant?« fragte sie.
Er lachte rauh.
»Rache? Man kann Rache an einem einzelnen, sogar an einer Gruppe nehmen, aber wie macht man das bei der Mehrheit der Welt? Oh, ich haßte sie freilich, aber die einzige echte Rache, die ich nehmen konnte, war die, mein Volk und meinen Glauben in diesen furchtbaren Zeiten am Leben zu erhalten, den Versuch einer historischen Rache zu unternehmen, wenn man es so ausdrücken will. Und einmal nachts, während ich versteckte Pfade in dieser Wüste erkundete, blieb ich an einer Oase vor einer Felsklippe stehen und sah etwas, das ich für unmöglich hielt.«
»Was war das?«
»Ein Zentaur, halb Mensch, halb Pferd, der aus einer Höhle herausschlich, um zu trinken. Du mußt dir darüber klar sein, daß das zu einer technologischen Zeit war, als ich Hubschrauberfahndung, Radar, Gehirnsonden und dergleichen auszuweichen hatte und auf beiden Monden und dem nächsten Planeten Kolonien errichtet worden waren. Nun, er entdeckte mich, und statt sich zu verstecken oder mich anzugreifen, rief er meinen Namen. Er kannte mich, obwohl ich seinesgleichen noch nie gesehen hatte. Er erklärte mir, er sei von einer anderen, fremden Zivilisation weit von hier zwischen den Sternen, und es gäbe diese Zivilisation nicht mehr. Er sei der letzte seiner Art. Er erzählte mir als erster von den Markoviern, von der Sechseck-Welt und dem Computer im Schacht der Seelen. Er hatte da auch eine tolle Einrichtung, sage ich dir, ein technologisches Wunderland in diesem Berg in der Wüste. Er wußte viel über mich. Er hatte mich offenbar geraume Zeit beobachtet, aus Gründen, die ich damals nicht begriff. Er erklärte mir, daß das ganze Universum durch einen Unfall beim Experimentieren in Gefahr schwebe, völlig und total vernichtet zu werden, und daß er Hilfe brauche, um das abzuwenden. Er hatte mich für diese Aufgabe ausgesucht.«
»Warum dich – einen religiösen Führer auf der Flucht?«
Brazil lachte leise.
»Nun, einmal konnte er mir Bücher zeigen, fremde Bücher von drei oder vier verschiedenen Zivilisationen. Er hatte eine Lernmaschine, die mir diese Sprachen beibrachte – du kennst die Methode, wenn auch nicht genau dieses Gerät. Und als ich sie las, Bücher von nicht-menschlichen Zivilisationen draußen zwischen den Sternen, die mein eigenes Volk noch nicht erreicht hatte, ging mir etwas auf, das mich beinahe betäubte. Ich las Bearbeitungen fremder Wiedergaben meiner eigenen heiligen Schriften. Die Einzelheiten waren natürlich alle unterschiedlich, aber die Grundwahrheiten waren da, der Grundbegriff eines einzigen, monotheistischen Gottes, einer Schöpfung und vieler Gesetze. In allen Büchern gab es, was man mühelos als die Zehn Gebote auslegen konnte, selbst in der Reihenfolge fast gleich, wenn auch die Art, wie sie verkündet wurden, verschieden war. Ich begriff auf der Stelle, was er mir damit sagen wollte.«
»Was denn?« fragte sie.
»Daß es so etwas wie eine Universalreligion gibt«, erwiderte er, »wesentliche Glaubenssätze und Begriffe, so übereinstimmend, daß sie von so vielen verschiedenen Rassen einfach nicht unabhängig entwickelt worden sein konnten. Der Zentaur selbst hing einem solchen Glauben an, und es war die Ähnlichkeit mit meinem eigenen, für den ich die höchste noch lebende Autorität war, die ihn zu mir geführt hatte. Verstehst du?«
Sie zögerte.
»Aber… du hast gesagt, die Reparaturen seien schon dreimal ausgeführt worden. Wie konnte dann wieder eine solche Religion entstehen?«
»Dann hast du begriffen. Das war nicht möglich – es sei denn, ihr lag eine wesentliche Wahrheit zugrunde. Nun, ich konnte ihm praktisch nichts abschlagen. Er verlangte, daß jemand zur Sechseck-Welt, in den Schacht ging, wo wir jetzt sind, und ihm half, abzuschalten und wieder neu anzufangen. Da das auch eine geistige Leistung ist, wollte er jemanden haben, der seiner eigenen Weltanschauung nahestand, weil auch von den Prinzipien dieser Weltanschauung etwas in die künftigen Dinge eingehen würde. Nun, das war natürlich der springende Punkt.
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