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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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und mit einem türkisfarbenen Kaschmirkleid stand Eschenbachs Sekretärin etwas später im Halbdunkel der Diele. Schnaufend. Hinter ihrem Rücken versteckte sich ein kleiner Junge mit dunklen Locken.
    Rosa hebelte am Lichtschalter: »Sie müssen die Glühbirnen ersetzen, Kommissario«, sagte sie. »Sonst knallen Sie hin mit Ihrem Gips.«
    »Sind Sie deswegen hier?«, fragte Eschenbach. Er suchte die Augen des Jungen. Was war los mit dem Kleinen, kannte er ihn nicht mehr?
    »Draußen wird es gar nicht hell. Und hier drinnen ist auch alles zappenduster …« Energisch nahm Rosa den Jungen bei der Hand, und gemeinsam marschierten sie an Eschenbach vorbei ins Wohnzimmer.
    Rosa machte Licht. Sie knipste die Leselampe neben der Couch an, ging in die Küche und stürzte sich auch dort auf alle Schalter, die irgendwie mit Licht in Verbindung standen.
    »Jetzt sieht man wenigstens etwas«, sagte sie zufrieden und zupfte dabei an ihrer Frisur. Seit ein paar Tagen trug sie ihr pechschwarzes Haar kurz, drapierte die kleinen, mit viel Gel gezähmten Strähnen um ihr altersloses, hell gepudertes Gesicht. Einen Moment standen sie sich gegenüber. Rosa, wie eine Madonna des einundzwanzigsten Jahrhunderts; der Kleine, den Blick auf den Fernseher gerichtet, und Eschenbach, gestützt auf eine Krücke (die zweite hatte er in der Eile nicht gefunden).
    Der Junge schenkte ihm einen misstrauischen Blick.
    Besorgt musterte Rosa Eschenbachs Bein. »Geht es?«, fragte sie leise. Dann glitt ihr Blick nach oben. »Und Ihrer Nase auch?« Ihre Stimme klang auf eine ungewohnte Art brüchig. Doch dann schickte sie ein »Ma, Kommissario!« hinterher. »Sie lassen sichdoch wegen so was nicht hängen, oder?!« Herausfordernd sah sie ihm in die Augen.
    Eschenbach humpelte zur Stereoanlage und drehte Mahler den Strom ab. »Es geht prima«, sagte er. Dann ging er zur Couch, sammelte Pullover, Socken und ein paar Bücher ein. »Setzt euch hin, Herrgott!«
    »Ich kann uns auch einen Kaffee kochen.« Rosa hielt noch immer den Jungen an der Hand, der wie ein scheues Jungtier die Umgebung musterte.
    »Er kennt mich doch.«
    Rosa zuckte die Schultern. »Die haben ihn gestern gleich ins Heim gefahren. Frau Dr. Kirchgässner hat mich angerufen, sie meint, er habe immer noch einen Schock …«
    »Kunststück«, fuhr Eschenbach dazwischen, dem die Szene vom Vortag noch bestens in Erinnerung war.
    Zögerlich, von einer kindlichen Neugier getrieben, löste sich der Junge von Rosas Hand und begann sich umzusehen. Auf dem Couchtisch lagen Stapel von Akten und Bücher. Halbvolle Gläser standen herum und eine Schale mit Früchten; auf dem Holzboden zwei leere Weinflaschen.
    »Er muss sich doch erinnern«, sagte Eschenbach.
    »Am besten, wir lassen ihn«, meinte Rosa. Langsam gingen sie zur Küche, die durch eine kleine Bar vom Wohnraum getrennt war.
    »Und wie geht es nun weiter?«, wollte Eschenbach wissen.
    »Frau Kirchgässner wird weiterhin … Sie denkt, es brauche Zeit. Und so, wie die Dinge im Moment liegen …« Rosa wollte den Satz nicht beenden.
    Eschenbach nickte und stopfte dabei Pulver in den Kolben der Espressomaschine. »Jetzt verläuft es einfach im Sand.«
    »Vermutlich.« Rosa nahm eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank. »Trinken Sie auch dieses grässliche Zeug?«
    »Kathrin, meine Tochter … sie trinkt es, wenn sie mich mal besuchen kommt.« Eschenbach seufzte. Er sah zu, wie schwarzerRistretto brummend in eine Mokkatasse tröpfelte. »Der Junge ist der Einzige, der uns weiterhelfen könnte.«
    »Sie glauben also immer noch, er hat etwas gesehen?«
    »Er stand direkt daneben. Irgendetwas muss er gesehen haben.«
    In diesem Moment erklang im Wohnzimmer ein Schrei.
    »Mamma mia!«, rief Rosa und rannte los.
    »Latscho hets gspient. Jell, der Mulo ischs gsii!«, schrie der Kleine. Er stand neben dem Couchtisch und drückte seine kleinen Finger auf einen Bildband: »Lagg … Mulo, der Mulo!«
    Es klang wie ein Fluch.
    »Er spricht«, sagte Eschenbach. Intuitiv sah er sich nach einem Stück Papier um, er wollte wieder notieren, was der Junge gesagt hatte.
    »Dio mio!« Rosa drückte den Kleinen, der am ganzen Körper zitterte, an sich.
    Das Bild auf dem Umschlag zeigte eine Schar mittelalterlicher Reiter, die um einen brennenden Scheiterhaufen herumgaloppierten. Zuoberst auf dem lodernden Holz stand festgezurrt ein Schneemann.
    »Er erinnert sich«, sagte Eschenbach. » Zürcher Sechseläuten von Andreas Honegger. Das Buch hat mir Kobler

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