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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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den Brief. Das ganze Leben hat er gespart. Vor der Perestroika hätte man davon ein Auto kaufen können, einen Wolga. Das teuerste Auto! Und jetzt? Es reichte gerade für neue Schuhe und einen Kranz. So ist das! Er lag auf der Trage und wurde schwarz … Vor meinen Augen wurde er schwarz … Die Ärzte nahmen auch den Jungen mit, der ihn retten wollte, er hat meine nassen Laken von der Leine gerissen (ich hatte an dem Tag gewaschen) und über ihn geworfen. Ein fremder Junge … ein Student … er kam vorbei und sah – da brennt ein Mensch! Sitzt auf einem Beet, ganz zusammengekrümmt, und brennt. Ganz voller Ruß. Und schweigt! So hat er es uns hinterher erzählt: »Schweigt und brennt.« Ein lebendiger Mensch … Am Morgen klopfte sein Sohn an meine Tür: »Papa ist gestorben.« Als er im Sarg lag … der Kopf war ganz verbrannt und die Hände … Schwarz, alles schwarz … Er hatte goldene Hände! Er konnte alles. Tischlern und mauern. Hier hat jeder noch ein Andenken an ihn – einen Tisch, Bücherregale … Manchmal stand er bis in die Nacht auf dem Hof und hobelte, das sehe ich noch genau vor mir – er steht da und hobelt. Er liebte Holz. Er erkannte jedes Holz am Geruch und an den Hobelspänen. Jedes Holz, sagte er, riecht anders, den kräftigsten Geruch hat die Kiefer: »Die Kiefer riecht wie guter Tee, und der Ahorn hat einen heiteren Geruch.« Bis zum letzten Tag hat er gearbeitet. Das Sprichwort hat ganz recht: Solange die Zügel nicht reißen, hat man auch Brot zu beißen. Von der Rente kann man heutzutage nicht leben. Ich selber, ich hüte fremde Kinder. Das bringt ein paar Kopeken, davon kaufe ich mir Zucker und ein bisschen Wurst. Denn was ist schon unsere Rente? Davon kaufst du Brot und Milch, aber kein Paar Schuhe für den Sommer. Dafür reicht es nicht mehr. Früher saßen die alten Leute sorglos auf der Bank im Hof. Klatschten und tratschten. Heute nicht mehr … Der eine sammelt in der Stadt leere Flaschen, ein anderer steht vor der Kirche und bettelt … Der Nächste verkauft an der Bushaltestelle Sonnenblumenkerne oder Zigaretten. Oder Wodkamarken. Neulich wurde bei uns in der Spirituosenabteilung ein Mensch zu Tode getrampelt. Wodka ist heute wertvoller als … wie heißt das gleich? Na, der amerikanische Dollar. Für Wodka kriegt man bei uns alles. Da kommt sogar der Klempner, der Elektriker. Sonst nicht. Also … also … Das Leben ist vorbei … Nur Zeit, die kann man für kein Geld der Welt kaufen. Da kannst du vor Gott weinen oder nicht – das kannst du nicht kaufen. So ist es eingerichtet.
    Aber Saschka wollte selber nicht mehr leben. Hat drauf verzichtet. Hat sein Los Gott zurückgegeben … O mein Gott! Nun kommt dauernd die Miliz. Fragt uns aus … (Sie lauscht.) A-ach … Ein Zug … Das ist der Moskauer, Brest–Moskau. Ich brauche gar keine Uhr. Ich stehe auf, wenn der Warschauer ruft – früh um sechs. Dann kommt der Minsker, dann der erste Moskauer … Morgens und nachts rufen sie mit verschiedenen Stimmen. Manchmal lausche ich ihnen die ganze Nacht. Im Alter flieht uns der Schlaf … Mit wem soll ich mich jetzt unterhalten? Jetzt sitze ich allein auf der Bank … Ich habe immer zu ihm gesagt: »Such dir eine gute Frau, Saschka. Heirate.« »Liska wird zurückkommen. Ich werde warten.« Ich habe sie sieben Jahre nicht gesehen, seit sie von ihm weg ist. Mit einem Offizier hat sie sich eingelassen. Sie war jung … viel jünger als er. Er hat sie sehr geliebt. Sie schlug immer wieder mit dem Kopf auf den Sarg: »Ich habe Saschkas Leben zerstört!« Oje, oje. Also … Die Liebe ist kein Haar, die reißt du dir nicht so schnell aus. Und du kannst sie auch mit dem heiligen Kreuz nicht binden. Wozu jetzt die Tränen? Wozu nach dem Tod bereuen … (Sie schweigt.) O mein Gott! Bis vierzig kann man alles tun … auch sündigen … Aber nach vierzig, da muss man bereuen. Dann vergibt dir Gott. (Sie lacht.) Du schreibst immer noch? Na, schreib nur, schreib. Ich erzähle dir noch mehr … Ich hab genug Kummer, mehr als einen Sack voll … (Sie hebt den Kopf.) A-ach … Die Schwalben sind da. Dann wird’s bald warm. Ehrlich gesagt, es war schon einmal ein Reporter bei mir … Hat mich über den Krieg ausgefragt … Ich würde das Letzte vom Hof weggeben, Hauptsache, es gibt keinen Krieg. Nichts ist schlimmer als Krieg! Wir wurden von deutschen Maschinengewehren beschossen, und unsere Hütten knisterten vom Feuer. Auch die Gärten brannten … Oje, oje! Saschka und ich redeten jeden Tag vom

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