Seegrund
DDR-Vergangenheit benutzte, um sich einen Spaß mit ihr zu machen. »Der hieß Walter, das werd isch wohl wissen«, erwiderte sie gereizt.
Kluftinger unterbrach ihr Geplänkel: »Haben Sie für mich vielleicht einen Tee, Fräulein Henske?«
»Klar, isch hol sofort einen. Bin sowieso froh, wenn isch die Herren hier nisch mehr sehen muss.« Als sie das Zimmer wieder verlassen hatte, fuhr Hefele fort: »Wie gesagt, der Ulbricht hatte einige große Aufträge. Und er hat oft mit einem Architekten aus Kempten zusammengearbeitet. Jetzt ratet mal, mit wem!«
»Tassilo Wagner, nehme ich an«, sagte Kluftinger.
»Genau der«, nickte Hefele. »So, auf meiner Liste wären noch zwei Namen. Einer ist bereits tot, neunzehnhundertachtzig bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der andere ist wieder interessant: Er heißt Pius Ackermann. Stammt aus Marktoberdorf, ist nach dem Krieg aber in russische Gefangenschaft geraten und in der DDR geblieben. In Rostock.«
Sandy war wieder ins Zimmer gekommen und stellte nun eine Kanne mit Tee vor Kluftinger auf den Tisch. Als sie das Wort »DDR« vernahm, blickte sie misstrauisch in die Runde.
»Sagen Sie mal Sandy, kennen Sie einen Pius Ackermann? Der war auch in der DDR«, hob Friedel Marx an.
Sandy war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Ach, und da haben wir uns wohl alle gekannt, oder wie? Lassen Sie misch doch zufrieden«, keifte sie.
Strobl ließ nicht locker: »Ich wart doch alle ein Volk von Brüdern und Schwestern.«
Sandy Henske machte auf dem Absatz kehrt und lief zur Tür. Bevor sie diese hinter sich schloss, drehte sie sich noch einmal um und polterte: »Fragen Sie doch die Frau … Marx!«
Es dauerte ein, zwei Sekunden, bis alle ihren Witz begriffen hatten. Dann brachen sie in schallendes Gelächter aus. Sogar Friedel Marx.
Als sie sich wieder beruhigt hatten, wandte sich Kluftinger an Strobl: »So, Eugen, jetzt fehlen nur noch deine vier.«
»Eher nur zwei, aber dazu komme ich gleich. Einmal hätte ich da Erwin Gmeinder anzubieten,Verleger aus Füssen. Der war dort bis vor kurzem noch an der Zeitung beteiligt. Ein recht wohlhabender Mann, der sich wohl gerne auch in die Berichterstattung eingemischt hat. Seine Frauen und seine drei Kinder leben ebenfalls in Füssen. Und dann wäre da noch Josef Blank, dem gehören die BMW-Autohäuser in Füssen und in Pfronten. Aber Gmeinder und Blank sind bei weitem nicht so interessant wie die beiden letzten.«
Strobl machte eine Kunstpause, mit der er die Neugier der Kollegen anheizte. Als er merkte, dass ihn alle gespannt anblickten, fuhr er fort:
»Nun gut, also … beide sind tot, das kann ich gleich mal vorwegschicken.« Die Kollegen entspannten sich wieder etwas, sie hatten offenbar mit einer außergewöhnlicheren Nachricht gerechnet.
»Moment! Sie sind nicht einfach an Altersschwäche verschieden. Da haben wir Nummer eins, Gerald Mang. Es war Mitte der fünfziger Jahre, dass sie ihn gefunden haben. Als jungen Mann damals.«
»Gefunden?«, fragte Friedel Marx.
»Ja, gefunden. Und zwar in seiner Wohnung. Er baumelte an einem Strick. Na ja, eigentlich war es kein Strick. Es war eine große, zusammengerollte Flagge. Die US-Flagge, um genau zu sein.«
»Die US-Flagge?« Kluftinger konnte sich darauf keinen Reim machen. »Was hat das denn mit den USA zu tun?«
»Nichts«, antwortete Strobl. »Offiziell jedenfalls. Aber ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass ausgerechnet in dieser Zeit die US-Army den Alatsee zum Sperrgebiet erklärt hat?«
Die anderen blieben stumm, was Strobl zufrieden zur Kenntnis nahm. »Also Nummer zwei. Auch Günter Ott weilt nicht mehr unter uns. Er ist Ende der fünfziger Jahre gestorben. Keinen schönen Tod: Er ist ertrunken. Jetzt ratet mal, wo.«
Keiner sagte etwas.
»Genau«, nickte Strobl und packte seine Notizen weg.
Eine Weile blieb es still, dann schlug Kluftinger so heftig auf die Tischplatte, dass einige der Kollegen erschrocken zusammenzuckten.
»Ja Herrgottsakrament, immer wieder der See. Egal, was wir machen, welche Spur wir verfolgen, am Ende versickert sie immer im Alatsee.«
Die Beamten blickten sich mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Unbehagen an. Sie waren dem Geheimnis des Gewässers auf der Spur, das spürten sie deutlich, aber noch lag es im Dunkeln.
»Ich will morgen alle, die auf dieser Liste stehen, in meinem Büro haben.«
»Alle?«, fragte seine Füssener Kollegin mit einem spöttischen Grinsen.
»Alle, die noch am Leben sind halt«, erwiderte
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