Seegrund
Todesumstände werfen zumindest Fragen auf. Ich denke da an Gerald Mang, der sich an einer US-Flagge erhängt haben soll …«
»Erhängt hat!«, ließ Ulbricht den Kommissar gar nicht ausreden. »Falls Sie irgendetwas anderes andeuten wollen: nur zu. Unsere Anwälte werden sich freuen.«
Kluftinger fühlte, wie ihm die Sache entglitt. »Und was ist mit Günter Ott? Der Tauchunfall im Alatsee.«
»Das war aber wirklich ein Unfall«, rief Appel aufgeregt.
»Wirklich ein Unfall? Im Gegensatz zu was?«
Appel verstummte.
»Na gut. Eine Frage noch, meine Herren: Was macht Pius Ackermann eigentlich heute? Er war ja auch in Ihrer Truppe und ist der Einzige, der offenbar nicht mehr mit Ihnen in Kontakt steht.« Kluftinger hatte die Frage ohne Hoffnung auf eine aufschlussreiche Antwort gestellt. Und nun, völlig unerwartet, geschah etwas: Zum ersten Mal sah er in ihren Augen Unsicherheit aufflackern. Die Fassade schien für einen Moment zu bröckeln. Da musste er also ansetzen. Aber nicht mehr mit allen auf einmal. Als Erstes wollte er sich Appel vornehmen. Allein.
In diesem Moment ging die Tür auf. Sandy Henske kam aufgeregt herein. Sie hatte nicht angeklopft, zumindest hatte Kluftinger es nicht gehört. Alle im Raum blickten sie an. Sie kam zu Kluftinger und flüsterte ihm aufgeregt ins Ohr, dass er unbedingt ans Telefon kommen müsse.
»Jetzt nicht, Fräulein Henske! Sie sehen doch, dass ich …«
»Sie werden sehen, es ist wichtig!«
»Legen Sie es hier auf den Apparat«, brummte Kluftinger schließlich. Schweigend nahm er den Hörer ab und sah dabei die Männer an. Vielleicht rief gerade sein Telefonjoker an. »Ja, Kluftinger … ja … ach was … interessant. Auf keinen Fall, nein! Wir sind so bald wie möglich bei Ihnen!«
Mit ausdrucksloser Miene legte der Kommissar auf und sagte ruhig: »Meine Herren, die Zeugenvernehmung ist für heute beendet. Eine neue Sachlage hat sich ergeben. Sie können gehen, ich brauche Sie nicht mehr.«
Die Männer schienen konsterniert. Ungläubig sahen sie sich an, keiner erhob sich.
»Gehen Sie jetzt bitte, wir haben zu tun. Halten Sie sich zu Hause zu unserer Verfügung.«
25. September 1958
Er müsse schon längst wieder oben sein.
Der junge Mann sah auf die Uhr. Jetzt sei es ja schon ein bisschen komisch.
Nein, ein Tauchgang, der dauere halt seine Zeit, und mit diesen neuen Geräten, da bestehe auch keine Gefahr, sagte ein anderer.
Die sieben Männer sahen sich an. Sie schienen nicht überzeugt.
Todsicher sei das Tauchen jetzt, beteuerte der Erste, sie sollten sich nur beruhigen. Erst einmal eine Zigarette rauchen.
Michael nickte. Er brauchte vier Streichhölzer, bis er mit zittrigen Fingern ein Zündholz entfacht hatte. Er nahm einen tiefen Zug und wischte sich die schweißnassen Hände an der Hose ab.
Eigentlich hatten sie allen Grund, Freudentänze aufzuführen. Endlich war der See wieder zugänglich. Endlich konnten sie zum Seegrund vordringen.
Als er die Zigarette fertig geraucht hatte, sah er wieder auf die Uhr. Das könne doch nicht sein, irgendetwas laufe da schief, beharrte er. Er gehe jetzt rein.
Bloß nicht, hielt ihn einer zurück. Das sei viel zu gefährlich.
Michaels Augen verengten sich zu Schlitzen. Also doch, fragte er.
Ach was, ihr Kamerad hänge ja an einer Rettungsleine. Und die bewege sich nach wie vor. Er solle sich jetzt beherrschen und nicht den Kopf verlieren. Schließlich gehe es um etwas Großes.
Michael bestand darauf, die Rettungsleine zu übernehmen. Tatsächlich schien der Taucher ruhig seine Bahnen zu ziehen. Michel entspannte sich ein wenig und seine Furcht wich einer erwartungsvollen Neugier. Doch plötzlich ruckte es so heftig an der Leine, dass das Hanfseil die Haut seiner Handflächen aufscheuerte.
Als er den Schreck überwunden hatte, zog er am Seil, das nun keinen Widerstand mehr bot. Das Blut schoss ihm in den Kopf. Ohne nachzudenken zog er an dem Seil, holte Meter für Meter aus dem Wasser, schrie dabei unverständliche Worte.
Die anderen blickten wortlos auf den See, bis einer mit dem Zeigefinger auf die Wasseroberfläche deutete. Nicht weit vom Ufer entfernt stiegen Luftblasen auf. Den Männern verschlug es den Atem: Um die Luftblasen herum färbte sich das Wasser purpurrot.
Nein, schrie Michael und zog hysterisch den Rest des Seils aus dem Wasser, bis er das lose Ende in den Händen hielt. Blut, schrie er. Überall Blut. Nein, schüttelte einer den Kopf, das sei kein Blut. Dann blieb der Wasserspiegel
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