Seegrund
herunter. Wahrscheinlich ein Tier, sagte er und es klang, als wolle er sich selbst damit beruhigen.
Sie wisse nicht, es habe geklungen …
Da war es wieder. Ein metallisches Klingeln wie von mehreren kleinen Glöckchen. Dann ein lang gezogenes Seufzen.
Sicher ein Tier, beharrte er. Schließlich wollte er sich nicht die Tour vermasseln lassen.
Doch das Geräusch wurde lauter. Diesmal klang es wie das Rasseln von Ketten, dann folgte ein heiseres Lachen.
Beide saßen nun aufrecht in dem kleinen Wagen und blickten gebannt in die Dunkelheit. Ein eiskalter Schauer ließ sie erstarren. Und dann stellten sich ihnen die Nackenhaare auf. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen: Eine dunkle, riesenhafte Gestalt hob sich von den Bäumen ab und trat aus ihrem Schatten ins Mondlicht. Der Hüne trug eine Art Kutte mit einer spitzen Kapuze und kam mit schlurfenden Schritten auf sie zu. Eine Laterne, die er in der linken Hand schwenkte, beleuchtete schwach den Kiesboden. Immer näher kam die grausige Gestalt. Ein großes, hölzernes Kruzifix hing an einer eisernen Kette um seinen Hals, das konnte er sehen. Und jetzt sahen sie auch, was diese fürchterlichen Geräusche verursachte: An einem großen, metallenen Ring hingen mindestens ein Dutzend riesiger Schlüssel. Der Riese kam genau auf sie zu. Als er nur noch zehn Meter von ihnen entfernt war, stockte ihnen der Atem: Er hatte kein Gesicht. Auch als sie noch so genau hinsahen – die Kapuze war leer!
Ein gellender Schrei seiner Freundin riss ihn endlich aus seiner Erstarrung. Höchstens zwei Meter war der entsetzliche Mönch noch von seinem Wagen entfernt. Mit zittrigen Händen griff er zum Zündschloss, startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und raste davon, als sei der Teufel selbst hinter ihnen her.
Als die Motorengeräusche in der Nacht verhallt waren, begab sich die dunkle Gestalt wieder zurück in den Wald. Hier, zwischen den Fichten, vom See aus nicht sichtbar, stand ein großer, dunkler Mercedes. Die Glut einer Zigarettenspitze leuchtete daneben schwach in der Dunkelheit.
Respekt, da habe sogar er es mit der Angst bekommen, flüsterte er der Gestalt in der Kutte zu.
Der Mann in der Mönchskutte zog sich erst die Kapuze und dann eine wollene Sturmhaube vom Kopf. Die Schweißperlen auf seiner Stirn glänzten silbern im Mondlicht. Er habe sich ja auch alle Mühe gegeben und extra laut gerasselt, sagte er und verzog den Mund zu einem verächtlichen Grinsen.
Erstaunlich, wofür man so alte Geschichten heute noch brauchen könne, sagte der mit der Zigarette. Das werde wohl genügen, um die alten Gerüchte wieder anzustacheln. Da traue sich nachts so schnell keiner mehr rauf.
Schlüsselmönch vom Faulenbach, so ein Krampf, sagte der Mann in der Kutte, als sie lachend ins Auto einstiegen.
Punkt achtzehn Uhr waren alle wieder um den großen Tisch im Besprechungsraum versammelt. Jeder saß auf demselben Platz wie am Morgen.
»Also«, begann Kluftinger zögerlich, »wer möchte anfangen?«
Marx meldete sich als Erste. »Also, ich hab wohl Glück gehabt mit meiner Zuteilung«, fing sie an und grinste in die Männerrunde.
»Meine vier sind alle schon tot. Zwei haben im Krieg das Zeitliche gesegnet, einer ist Anfang der Siebziger abgekratzt, einer ist vor etwa drei Jahren im Alter von achtundsiebzig Jahren gestorben.«
Der Kommissar musterte sie missbilligend. Ihr unbeschwertes Verhältnis zum Ableben anderer Menschen störte ihn dabei weniger als der Gedanke, was sie eigentlich den ganzen Tag über getrieben hatte.
Er ließ den anderen keine Zeit, etwas zu erwidern, und fuhr fort »Irgendjemand, dessen Nachforschungen mehr ergeben haben?«
»Ich hatte es ja zu drei Vierteln mit den uns schon bekannten Personen zu tun«, begann Maier, ohne eine Aufforderung seines Chefs abzuwarten. »Wenn ich einmal bei Michael Appel beginnen darf, dem Mann mit dem Souvenirladen.« Als die anderen zu schnaufen begannen, fügte er in beleidigtem Tonfall hinzu: »Ich werde mich wiederum kurz fassen. Inzwischen habe ich ja mitgekriegt, dass ihr es gern etwas oberflächlich habt. Also: Der Appel hat nicht nur einen Souvenirladen, ihm gehören gleich fünf, eine kleine Kette sozusagen. Drei in Schwangau bei den Schlössern, einer in Füssen und einer in Nesselwang. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne, der eine hat inzwischen die Geschäftsführung übernommen, der andere macht irgendwas mit Aktien. Broker oder so.«
Ohne einmal von seinen Unterlagen aufzusehen, fuhr Maier
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