Seegrund
Assoziation gehabt, aber jetzt sah es eigentlich ganz anders aus. Das erklärte auch, warum es ihm bei seinem ersten Besuch nicht aufgefallen war: Das Schild über dem Eingang zeigte, sehr stilisiert, aber doch erkennbar, eine Hand, deren Zeigefinger und Daumen einen Kreis formten. Die drei anderen Finger waren fächerartig abgespreizt.
Zögerlich öffnete der Konamissar die Türe. Wie beim letzten Mal erklang ein melodischer Klingelton, doch diesmal empfing ihn nicht der sportliche Verkäufer.
»Grüß Gott«, sagte eine attraktive Blondine mit Kurzhaarschnitt. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja, Kluftinger, Kriminalpolizei. Ich war neulich schon mal hier, da hat mich ein Mann bedient … ich meine, er hat mit mir gesprochen. Der Inhaber, denke ich. Ist er da?«
Als der Kommissar das Wort »Kriminalpolizei« erwähnte, nahm das Gesicht der Frau einen besorgten Ausdruck an.
»Fred … mein Freund … also der Besitzer des Geschäfts ist hinten im Lager. Soll ich ihn holen?«
Kluftinger überlegte kurz. Eigentlich konnte sie seine Fragen ebenso beantworten.
»Nein, danke, nicht nötig. Ich habe nur eine Frage: Was bedeutet das Zeichen auf Ihrem Schild?«
Die Frau sah ihn verständnislos an. Kluftinger wiederholte seine Frage.
»Sie meinen das auf unserem Firmenschild?«
»Genau das. Diese Hand mit den abgespreizten Fingern.«
»Das ist ein internationales Tauchzeichen. Es heißt soviel wie ›Alles in Ordnung‹.«
»Das würde ja passen …«, murmelte der Kommissar.
»Wieso? Stimmt damit was nicht?«
»Doch, doch«, antwortete Kluftinger und hätte beinahe selbst das Zeichen gemacht, um ihr zu signalisieren, wie sehr sie ihm geholfen hatte.
Kluftinger hatte sein Auto noch nicht erreicht, als sein Handy klingelte. Er sagte wenig, und als er aufgelegt hatte, drang ein tiefer Seufzer aus seinem Mund. Seine Frau hatte ihm gerade mitgeteilt, dass er gar nicht erst nach Hause zu fahren brauche. Stattdessen würden sie nach Füssen kommen, denn »die Kinder« – womit sie Markus und Yumiko meinte – hätten eine ganz tolle Überraschung für sie: Sie würden heute gleich ihr vorgezogenes Weihnachtsgeschenk bekommen – einen Besuch im »Ludwig-Musical« in Füssen.
Seine spärlichen Versuche, dieses nach Kluftingers Ansicht unangebracht harte Los noch abzuwenden, hatte seine Frau im Keim erstickt. Die Kinder hätten nur noch für heute Karten bekommen, und er solle sich nicht so anstellen wegen seiner Erkältung, denn wer arbeiten könne, könne sich ja wohl auch ein Theater anschauen. Auch alle anderen Ausreden wurden abgeschmettert: Die entsprechende Kleidung bringe sie mit und essen könne man im Festspielhaus.
Statt in den Feierabend fuhr er also zum Parkplatz des Theaters. Kluftinger war gespannt, wie seine Frau und seine Familie nach Füssen kommen wollten, schließlich besaß die Familie nur ein Auto. Ob Erika seine Eltern um deren Wagen gebeten hatte? Wahrscheinlich, dachte der Kommissar und hielt deshalb von nun an Ausschau nach einem weinroten Opel Vectra.
Plötzlich ließ ihn ein Hupen direkt hinter dem Wagen zusammenzucken. Er blickte sich um: Dort stand ein großer silbergrauer Mercedes. Auch das noch. Es war Langhammers Wagen! Er erkannte ihn an dem Schild, das der immer an der Windschutzscheibe angebracht hatte: »Arzt im Einsatz« stand darauf, und Kluftinger wusste, dass Langhammer es auch dann dort beließ, wenn er privat unterwegs war.
Die Tür ging auf und Erika stieg aus dem Wagen.
»Hast du lange warten müssen? Markus, parkst du und bringst mir noch meine Jacke mit? Ich bleib gleich beim Vatter!«
Markus? Warum fuhr Markus den Langhammerschen Mercedes?
»Hast du dir von denen das Auto geliehen? Warum jetzt das? Hättest halt meinen Vatter gefragt!«
»Wenn du dich mehr um deine Eltern kümmern würdest, wüsstest du, dass sie bei Bekannten im Schwarzwald sind. Mit dem Auto.«
»Ach so, stimmt ja«, brummte Kluftinger erleichtert. Ohne den Doktor schien ihm der Abend auf einmal wieder erträglich.
Als die anderen sich anschickten, den Weg vom Parkplatz zum Musicaltheater zu einem kleinen Spaziergang zu nutzen, hielt er sie zurück: »Wir fahren!«
»Aber Vatter, da dürfen nur Mitarbeiter rein«, protestierte Markus.
»Mitarbeiter und Polizei«, erwiderte Kluftinger.
Sein Sohn verdrehte die Augen: »Oh nein, nicht schon wieder. Bitte, wir haben einen Gast dabei.«
»Unser Gast fährt sicherlich auch lieber, anstatt durch die Kälte zu laufen, stimmt’s?«, sagte Kluftinger
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