Seejungfrauen kuesst man nicht
dem Fluss gezogen zu werden, tot oder lebendig. Bis ich Rad rausspringen sah, war mir nicht in den Sinn gekommen, dass keine Chance bestand, zuerst die Füße über das Fensterbrett zu schwingen und mich langsam herunterzulassen. Ich stieg auf das Fußende des Bettes und spähte durch das Fenster. Rads bleiches Gesicht sah aus dem tintenschwarzen Wasser zu mir herauf. »Beeil dich«, rief er. Ich lehnte mich hinaus und balancierte auf dem Bauch auf dem Metallrand des Fensters. Während ich noch zögerte, hörte ich das Krachen zerspringenden Glases aus der Hauptkajüte, und aus den Augenwinkeln sah ich Flammen über das Bootdach züngeln, und dann schloss ich die Augen und stürzte mich in die Dunkelheit.
Der Schock kalten Wassers, das sich über meinem Kopf schloss, trieb allen Atem aus meinen Lungen und mir kam die Galle hoch; ich schmeckte hinten in meiner Kehle den Tod, doch dann spürte ich Rads Arme um mich und kalte Luft auf meinem Gesicht.
»Ich hab dich. Wehr dich nicht, sonst ziehst du mich mit runter«, sagte er, und als ich fühlte, wie fest er mich hielt, und sah, wie nah wir am Ufer waren, hörte ich auf, um mich zu schlagen, und ließ mich retten.
Als wir schließlich klatschnass und zitternd im Gras saßen, tat Rad etwas sehr Seltsames. Er umarmte mich und drückte mich fest, und ich sah, dass er weinte. »Danke«, sagte er immer wieder, und einen Moment lang dachte ich, er würde zu dem Gott sprechen, an den er nie geglaubt hatte. Aber das tat er nicht; er sprach mit mir. Was ihn betraf, hatte ich ihn gerettet.
47
Rad nahm mein Angebot an, bei mir zu wohnen, bis das Boot repariert war. Er brachte in einem dieser Bergsteigerrucksäcke, die Studenten mit auf Reisen nehmen, ein paar Kleidungsstücke mit, eine Zahnbürste und einen Rasierer. Es war wirklich der Rucksack, den er auf seiner Romreise mit Nicky und Frances dabei gehabt hatte. Ich hasste das Ding, wie es mit seinen langen Riemen an der Tür lehnte. »Er gibt mir das Gefühl, dass du demnächst irgendwo hingehst«, sagte ich und Rad lachte. Betreten.
Drei Mann in einem Boot war im Feuer verbrannt. »Ich werde dich immer mit Büchern in Verbindung bringen, die ich nicht zu Ende gelesen habe«, sagte Rad. »Narziss und Goldmund, Huck Finn und jetzt das.« Er hatte auch seinen neuen Stuhl verloren sowie alles andere in der großen Kajüte. »Da siehst du, was passiert, wenn ich anfange, raffgierig zu werden«, lautete seine Interpretation.
»Dass es gebrannt hat, lag daran, dass wir diesen beschissenen alten Wäscheständer zu nah an den Heizkörper gestellt haben. Nicht an deiner Gier.«
»Das wäre nicht passiert, wenn unsere Kleider nicht nass geworden wären. Was nicht passiert wäre, wenn du uns nicht gezwungen hättest, im strömenden Regen durch halb Kew Gardens zu rennen.«
Er tat so, als fände er die Wohnung schockierend luxuriös, war in Wahrheit jedoch ziemlich froh, in der Dusche aufrecht stehen und sich beim Fernsehen auf der Couch ausstrecken zu können. Und er starb fast vor Lachen, als er im Gästezimmer mein Rudergerät sah. »Der perfekte Sport für Nichtschwimmer«, sagte er. »Wofür trainierst du denn? Henley?«
Manchmal, wenn ich nach einer Probe oder einem Unterrichtstag am frühen Abend nach Hause kam, saß er in der Küche, wo er etwas Ekelhaftes zum Abendessen kreierte - zum Beispiel Schweinekotelettes in Pilzsuppe oder gebackene Bohnen mit Makrelen und dann aßen wir gemeinsam am Küchentisch, bevor ich zu meinem Konzert ging.
Nachdem das etwa eine Woche so gegangen war, wachte ich eines frühen Morgens auf und stellte fest, dass das Bett neben mir leer war. Rad stand am Fenster und betrachtete die Wohnungen auf der anderen Seite. Bevor wir eingeschlafen waren, hatten wir über die Umstände meiner Vertreibung aus der Radley-Familie gesprochen, und wir hatten es sogar geschafft, über die Erinnerung zu lachen, wie Growth in mein Kleid verbissen hin und her schwang, während wir uns gegenseitig beschimpft hatten.
»Wenn du gewusst hättest, wie schlecht ich mich gefühlt habe, als du weg warst«, hatte Rad gesagt. »Ich war eigentlich nicht auf dich wütend. Nicht richtig. Sondern auf Dad. Aber man kann nicht mit seinem Dad Schluss machen.«
»Du hättest ans Telefon gehen oder an die Tür kommen können. Ich habe dir so viele Chancen gegeben.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber ich hatte mir ein solches Loch gegraben, aus dem ich einfach nicht rausklettern konnte. Es war leichter, dazubleiben und zu leiden.
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