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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Guy-Fawkes-Nacht zusammengesackt vor U-Bahn-Stationen liegen sieht. Während er in seiner Kajüte war und sich umzog, suchte ich nach etwas, worin ich mein Aussehen kontrollieren konnte, und entdeckte schließlich in einer Schranktür ungefähr in Brusthöhe eine angeschlagene Spiegelkachel. Der ehemalige Besitzer des Bootes war offensichtlich nicht eitel gewesen.
    Die Nudeln waren inzwischen gar und ich suchte nach einem Sieb, fand aber nur ein verbogenes Teesieb mit einem Loch in der Mitte, das so groß war wie ein Zehnpencestück, und war gezwungen, mit dem Topfdeckel zu operieren. Rad erschien in einer trockenen Jeans und einem weißen Hemd, rubbelte sich die nassen Haare mit einem Handtuch und ertappte mich dabei, wie ich Spaghettifäden aus der Spüle holte. Wir waren inzwischen so hungrig, dass uns gar nicht aufgefallen wäre, wenn sie leicht nach Spülmittel geschmeckt hätten. Rad setzte sich auf die Bank und legte sein Bein hoch, und ich saß gegenüber auf dem neuen Stuhl - ein schönes, aber ziemlich hartes viktorianisches Exemplar. Rad hatte ein Teelicht gefunden, das er in einem Marmeladenglas zwischen uns auf den Tisch stellte. »Da«, sagte er. »Ich hoffe, all dieser Luxus ist dir nicht unangenehm.«
    »Wenn ich gewusst hätte, dass ich ein Candlelight-Dinner bekommen würde, hätte ich meine Juwelen angelegt«, sagte ich und rollte zum x-ten Mal den Ärmel meines geborgten Hemds wieder hoch.
    Der Nachtisch bestand aus einem Apfel und einem Müsliriegel, den wir uns zu einer Tasse Kaffee teilten. Ich war froh, dass die Pralinen, die ich ihm bei meinem ersten Besuch mitgebracht hatte, nicht mehr da waren. Es wäre mir schwer gefallen, jemanden für eine Selbstbeherrschung zu bewundern, bei der eine Schachtel Trüffel fast eine Woche überlebte.
    »Sie werden dich bald wieder im Büro sehen wollen, oder?«, fragte ich, als wir abwuschen. »Du musst jetzt schon seit ein paar Monaten krank sein.«
    »Sie waren sehr verständnisvoll«, sagte Rad. »Sie wollen mich erst wieder sehen, wenn ich wieder gesund und fit bin.« An der abgehackten Art, wie er sprach, bemerkte ich, dass er dieses Thema nicht gern weiter verfolgen würde, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, warum. »Was ist mit deinem Job?«, fragte er. »Du hast mir noch gar nichts darüber erzählt.«
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich probe, ich trete auf, ich reise ziemlich viel. Ich unterrichte auch, aber nicht sehr gut, weil ich so oft weg bin. Ich habe überhaupt kein Privatleben, weil meine Abende für Konzerte draufgehen. Und wenn ich doch mal einen Vormittag oder einen Nachmittag frei habe, kann ich ihn mit niemandem verbringen, weil alle normalen Leute arbeiten. Aber ich will mich nicht beklagen. Ich weiß, dass ich Glück habe, mit meinem Hobby meinen Lebensunterhalt verdienen zu können.«
    »Sie muss sehr wichtig für dich sein, deine Karriere - du spielst schon, seit du wie alt warst?«
    »Neun. Ja, ich denke schon. Ich meine, ich kann auch nichts anderes.«
    »Die Konkurrenz an der Spitze muss sehr hart sein.«
    »Ich weiß nicht. Ich bin nicht an der Spitze - ich bin durch und durch zweitklassig.«
    »Das bist du sicher nicht.«
    »Nein, ehrlich. Ich dachte, ich könnte es als Solistin schaffen, als ich das Royal College abgeschlossen hatte, weil ich ein paar Wettbewerbe gewonnen hatte. Aber es hat nicht geklappt. Ich hatte Glück, einen Job bei einem Provinzorchester zu bekommen - und sogar noch mehr Glück, als diese Stelle hier in London frei wurde. Es ist nicht wie bei anderen Karrieren, wo man sich langsam zu hohem Ansehen hocharbeitet. Wenn man hier den Anschluss verpasst, dann war‘s das.« Wie in meinem ganzen Leben, dachte ich.
    »Wie kannst du sagen, du hast den Anschluss verpasst? Du spielst in einem der besten Orchester des Landes. Auf der Welt, nach allem, was ich weiß.«
    »Ich habe doch gesagt, ich beklage mich nicht. Ich möchte nur nicht, dass du dir eine falsche Vorstellung davon machst, wie berühmt oder erfolgreich ich bin. Denn ich bin nichts von beidem.«
    »Es ist seltsam, wenn man bedenkt, dass du all die Jahre, in denen wir dich kannten, still und heimlich an etwas gearbeitet hast, worin du dann wirklich hervorragend geworden bist. Ich glaube nicht, dass einer von uns dich je hat spielen hören.«
    »Ich weiß noch, dass Nicky ziemlich überrascht war, als er herausfand, dass ich Cello spiele«, sagte ich und blickte durch meine Ponyfransen zu Rad auf. »›Ich kann mir nicht

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