Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
vorstellen, dass sie irgendwas zwischen die Beine nimmt‹, hat er, glaube ich, gesagt - zu deiner großen Belustigung.«
    Rad, der gerade den Pastatopf spülte, hielt inne und schrubbte dann etwas schneller weiter. Ich konnte sein Gesicht nicht richtig erkennen, weil er mir den Rücken zuwandte und es inzwischen dunkel geworden war. Das einzige Licht kam von der Kerze und vom blauorangen Schein des Gasofens.
    »Ich hab es doch nicht geschafft, dich in Verlegenheit zu bringen, oder?«, sagte ich.
    Er lachte verlegen. »Ich kann mich an das Gespräch nicht erinnern, aber ich glaube dir aufs Wort, denn es klingt eindeutig nach Nicky, und es hat sich offensichtlich in dein Gedächtnis eingebrannt.«
    »Tja, ich fürchte, es hat mich in dem völlig falschen Eindruck bestätigt, den man als Teenager hat, dass auf die ein oder andere Art jeder eine Meinung über einen hat. Es ist eine solche Erleichterung, wenn man älter wird und bemerkt, dass niemand auch nur einen Augenblick über einen nachgedacht hat.«
    »Du übertreibst«, sagte er.
    »Überhaupt nicht. Als ich auf die dreißig zuging, habe ich plötzlich beschlossen, dass ich mir nie wieder Gedanken darüber machen würde, was die Leute von mir denken. Diese Spitzenerfahrung wird dir entgangen sein, weil du dir noch nie Gedanken darüber gemacht hast, was andere von dir denken.«
    Das bestätigte er mit einem Lächeln. »Ich meinte, du übertreibst, wenn du sagst, dass niemand eine Meinung über dich hat. Ich zum Beispiel habe eine.«
    »Ach ja?«, sagte ich so neutral wie möglich.
    »Aber ich denke nicht im Traum daran, sie dir zu sagen, weil du mich jetzt vollkommen überzeugt hast, dass du nicht im Geringsten an der Meinung anderer interessiert bist.«
    Das nasse Geschirrtuch schnappte, als ich ihn damit schlug und ihn knapp überm Ellbogen traf. Er lachte und trat einen Schritt zurück. »Ja ich sehe, dir steht die reine Gleichgültigkeit ins Gesicht geschrieben.« Schnapp. Er wich mir aus, und der Luftzug löschte das Teelicht, und wir sahen uns nur noch im Schein des Ofens. »Du würdest doch gegen einen hilflosen Krüppel keine Gewalt anwenden, oder?«
    Schnapp. Diesmal fing er das Ende, und wir standen dort im Dunkeln, das straff gespannte Geschirrtuch zwischen uns. »Ich wollte nur sagen, dass du mit dem Alter gereift bist«, sagte Rad.
    »Wie ein Käse?«
    Das ignorierte er. »Obwohl du immer noch schlecht , darin bist, Komplimente entgegenzunehmen.« Das Geschirrtuch lockerte sich und ich nahm es zurück.
    »Tja, ich habe eben keine Übung«, sagte ich, faltete es zusammen und dann wieder auf. »Und wenn ich das so sagen darf, ich bin mir nicht so sicher, ob du so gut darin bist, welche zu machen: ›Mit dem Alter gereift‹ klingt, als wäre ich etwas unreif gewesen, als ich jung war.«
    »Das liegt daran, dass du eine masochistische Freude daran hast, dich selbst herabzusetzen.«
    »Du bist sehr überzeugt von deinem Urteil über meinen Charakter. Und das, nachdem wir uns erst so kurze Zeit wieder kennen.«
    »Ich hatte nicht viel anderes, worüber ich in den letzten Tagen nachdenken konnte.«
    »Du musst öfter mal raus.«
    »Das hab ich auch vor. Darum ging es doch heute, weißt du nicht mehr?«
    »War das Experiment ein Erfolg?«
    »Bisher schon. Aber der Tag ist noch nicht zu Ende.«
    Ich sah auf die Uhr: 23 Uhr. »Aber fast«, sagte ich.
    »Dann werden diese letzten paar Minuten entscheidend sein. Es kann sich immer noch in verschiedene Richtungen entwickeln.«
    »Dann sollten wir lieber vorsichtig sein.«
    »Nein. Vorsichtig sein wäre verheerend. Ein vorsichtiger Mensch würde Mantel und Handtasche nehmen und nach Hause in seine kleine, ordentliche Wohnung gehen, um die Pflanzen zu gießen und die Katze zu füttern. Hier ist Leichtsinn angesagt.« Er ging einen Schritt auf mich zu, und eine Sekunde lang dachte ich, er würde mich küssen, doch stattdessen fing er an, mein Hemd aufzuknöpfen.
    »Was tust du da?«
    »Das ist mein Hemd. Ich nehme mir nur, was mir gehört.«
    Später, als wir in der winzigen Kajüte lagen und durch den Spalt in Rads Hemden den Mond betrachteten, sagte ich: »Hast du mit Birdie geschlafen?«, und schämte mich dann sofort. Selbst mit einem Abstand von fast vierzehn Jahren konnte ich auf jemanden eifersüchtig sein, der so tot war wie Mozart und Hume.
    Er rollte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellenbogen, um mich anzusehen. »Nein, natürlich nicht. Sie war deine Schwester - ich bin nicht völlig

Weitere Kostenlose Bücher