Seekers 03: Auf dem Rauchberg
zunächst über felsiges Gelände und später durch Wiesen voller purpurroter Wildblumen. Manchmal wand sich der Fluss in einer Schleife zurück, dann wanderten sie unversehens einen ganzen Tag lang in die falsche Richtung. Es gab nur wenig Beute, und die Blätter und Beeren, die sie zum Fressen fanden, konnten gegen den Hunger wenig ausrichten.
Mit jedem Tag, der verging, nahmen Kalliks Sorgen zu. Sie hatten keine weiteren Zeichen erblickt, nichts, das einen Hinweis darauf bot, dass Qopuk mit seiner Wegbeschreibung recht gehabt hatte. Vom Großen Fluss oder vom Rauchberg war nichts zu sehen. Ihre Tatzen schmerzten, aber noch mehr tat ihr das Herz weh, wenn sie sah, wie frustriert und gereizt Taqqiq war. Mehr als einmal hatte sie ihn grummeln hören, wie wahnsinnig es sei, einfach blind durch die Gegend zu laufen, allein auf den Rat eines toten Bären hin.
Als es endlich Abend war, nach einem Tag, der noch heißer und länger als sonst gewesen zu sein schien, hielt sie an, um ihre Tatzen in den Fluss zu tauchen. Sie hasste es, wenn der Schmutz ihr Fell verklebte und sich zwischen ihren Klauen festsetzte. Kein Vergleich mit dem glatten, sauberen Gefühl, wenn man Eis unter den Tatzen hatte. Weit vorn bildeten Toklo, Ujurak und Lusa die Spitze ihrer Gruppe, einige Bärenlängen dahinter folgte Taqqiq, der missmutig für sich blieb.
Mit Erleichterung sah Kallik, wie die Sonne am Horizont verschwand. Sie schien eine Ewigkeit am Himmel gestanden zu haben. Jetzt, wo die Luft kühler wurde, hob sich Kalliks Stimmung.
Sie eilte weiter und hatte Taqqiq bald eingeholt. »Bist du nicht auch froh, dass dieser heiße Tag endlich vorbei ist?«, fragte sie. »Nachts ist es so viel kühler. Und ich sehe so gerne die Sterne am Himmel funkeln. Du nicht auch?« Sie hoffte, dass sie sich nicht allzu verzweifelt anhörte. Sie wollte ihn an ihre gemeinsame Zeit auf dem Eis erinnern – und daran, was für ein Glück es war, dass sie einander wiedergefunden hatten.
Taqqiq warf einen verächtlichen Blick zum Himmel. »Ich sehe keine Sterne.«
»Na ja, sie werden bald erscheinen«, meinte Kallik.
»Ich dachte, die Nächte würden früher anbrechen, wenn der Längste Tag erst mal vorbei ist«, beklagte sich Taqqiq. »Diese alten Bären am Großen Bärensee haben sich doch lang und breit darüber ausgelassen, dass die Macht der Sonne zu Ende sei und die Kälte und das Eis jetzt zurückkehren würden. Aber die Sonne steht immer noch Ewigkeiten am Himmel. Die Nächte sind zu kurz, und wir bekommen die Eisflecken kaum zu sehen, bevor die Sonne wieder da ist und sie verschluckt. Woher wollen wir wissen, dass es je wieder kalt wird? Was, wenn die Sonne weiterhin die Nacht auffrisst, bis alle Sterne verschwunden sind?«
Kallik war schockiert. »Das kann nicht geschehen«, erklärte sie voller Überzeugung. »Die Nacht kehrt immer zurück und das Eis auch. Es ist wie in der Geschichte von Silaluk und den Jägern, die Mutter uns immer erzählt hat. Weißt du nicht mehr?« Sie wich einem spitzen Stein aus, der ihr im Weg lag.
»Warum ist das Eis dann noch nicht wieder da?«, fragte Taqqiq herausfordernd. »Seit Monden habe ich keins mehr gesehen.« Wütend schlug er mit der Tatze in eine Pfütze, sodass dreckiges Wasser auf sein Fell spritzte.
»Es wird wiederkommen.« Kallik hätte dies gern mit ebensolcher Überzeugung gesagt wie ihre Mutter früher. »Nisa hat es gesagt.«
»Sie wusste es nicht besser«, erwiderte Taqqiq bitter. »Ich glaube, dass die Eisseelen uns im Stich gelassen haben. Sie sind in den Himmel aufgestiegen und verbergen ihre Gesichter hinter der Sonne. Sie schämen sich, weil sie nicht die Macht haben, uns zu helfen, und nichts tun können, um das Eis zu bewahren.«
»Taqqiq …« Flehentlich versuchte Kallik, ihn zu beschwichtigen. Sie hielt nach den verschwimmenden Gestalten der anderen Bären Ausschau, deren immer länger werdende Schatten weiter vorn auf dem Wasser tanzten. Sie hoffte, dass sie von Taqqiqs Zorn und Verzweiflung nichts mitbekamen.
»Erinnerst du dich noch an den Nachthimmel, als wir Junge waren?«, fragte Taqqiq und Kallik konnte die tiefe Trauer in seiner Stimme hören. »Wie hell die Sterne waren, wie dunkel der Himmel und wie riesengroß er uns vorkam? Wir lagen zusammengerollt auf dem sauberen, kalten Eis, die Nasen in Mutters warmem Fell vergraben, und haben ihren Geschichten gelauscht –« Seine Stimme zitterte und er wandte den Kopf ab.
»Ja, ich erinnere mich«, erwiderte Kallik sanft und
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