Seekers 03: Auf dem Rauchberg
drängte sich ein bisschen dichter an ihn. »Es war schön und sicher auf dem Eis. Wir haben im Schnee gespielt, während Mutter auf uns aufgepasst hat. Du warst immer das wütende Walross, das mich gejagt hat.«
Taqqiq warf den Kopf herum, um seine Nase in ihrem Fell zu vergraben. Kallik hatte das Gefühl, ihr Herz würde gleichzeitig überlaufen und zerspringen. Noch nie hatte sie ihn so traurig erlebt. Trotzdem steckte irgendwo in seinem Innern noch immer auch der lustige, liebevolle Bruder von früher.
Neben ihnen strömte das Flüsschen gurgelnd über die bemoosten Steine. »Aber so ist es nicht mehr«, sagte er schroff. »Die Zeiten sind vorbei. Das Eis ist verschwunden.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging davon, den anderen Bären hinterher.
Kallik sah ihm bestürzt nach. Warum konnte er nicht froh darüber sein, dass sie wenigstens einander hatten? Bei Toklo waren Mutter und Bruder gestorben. Lusa hatte ihre Familie verlassen, und Ujurak hatte sie überhaupt noch nie von seiner Familie sprechen hören, also hatte er vielleicht gar keine mehr. Im Vergleich zu ihnen waren Taqqiq und sie doch wahre Glückspilze. Und dazu hatten sie noch Freunde – gute, echte Freunde, nicht solche wie Salik und diese anderen schrecklichen Halbstarken, mit denen Taqqiq vorher durch die Gegend gezogen war. Jetzt konnte doch nur noch alles besser werden und gemeinsam würden sie das Ewige Eis erreichen!
Ich wünschte, Mutter wäre hier. Sie könnte uns bestimmt sagen, ob es mit rechten Dingen zugeht, dass der Feuerhimmel so lange dauert. Kallik setzte sich in Bewegung und beeilte sich, um die anderen einzuholen.
Eine kalte Brise fuhr durch ihr Fell und trug seltsame Gerüche heran. Es roch nach Feuerbiestern, Krallenlosen und ihrem komischen verbrannten Essen. Ein Schauer überlief sie. Die Nähe von Krallenlosen verhieß nichts Gutes. Sie sah, dass Lusa stehen geblieben war und ihre schwarze Nase schnuppernd in die Luft hielt.
Lusa trottete zurück und schlug, immer weiter schnuppernd, einen Kreis um Kallik, bevor sie sich ihr anschloss.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass hier in der Nähe eine Flachgesichterhöhle ist«, schnaubte die Schwarzbärin. »Und zwar eine große. Hast du diese ganzen Düfte gerochen? Und außerdem gibt es Feuerbiester, mehrere sogar, denn ihr Geruch ist so stark, dass mir die Nase davon wehtut.«
Kallik nickte. »Ich weiß, was du meinst. Es fühlt sich an, als würde es in der Nase brennen.«
»Ja, genau!«, stimmte Lusa zu. »Wie können die Flachgesichter mit so etwas leben? Ich würde mir die Nase mit Laub zustopfen, wenn ich immerzu mit Feuerbiestern zusammen sein müsste.«
»Wir sollten herausfinden, wo der Geruch herkommt, damit wir uns davon fernhalten können.«
»Es sei denn – « Lusa brach ab und setzte noch mal neu an. »Also, wo es Flachgesichter gibt, gibt es auch Nahrung.« Sie wand sich verlegen. »Ich meine, wir haben alle Hunger, und sollten wir nicht fressen, wann und wo immer es möglich ist? Außerdem ist das die einzige Form von Jagd, zu der ich tauge.«
»Lusa! Kallik!«, rief Toklo. Weiter vorn machte der Fluss eine Biegung und wand sich um einen hohen, grasbewachsenen Hügel. Ujurak und Taqqiq wateten ins Wasser und tauchten ihre Zungen in das sprudelnde Nass. Toklo stand auf dem Gipfel der Anhöhe oberhalb des Flüsschens. Ein orangefarbener Schimmer ließ den Himmel hinter ihm aufleuchten, aber das kam nicht von der Sonne, die Kallik weit entfernt untergehen sah. Eilig lief sie zu ihm, Lusa dicht auf den Fersen.
»Seht mal«, sagte Toklo und deutete mit der Nase nach hinten.
Kallik hüpfte das Herz vor Erregung und Furcht zugleich. Ganz am Rande des Himmels ragten die zerklüfteten Umrisse von Bergen empor, riesenhaft und mit schneebedeckten Gipfeln. Selbst aus der Entfernung glaubte sie, Rauchfahnen von ihnen aufsteigen zu sehen.
»Der Rauchberg«, stellte Lusa atemlos fest. »Hat der alte Bär nicht von einem einzelnen Berg gesprochen? Seht nur, dort gibt es eine ganze Menge davon!«
»Dummer alter Bär«, murmelte Taqqiq.
»Taqqiq, das ist nicht nett«, ermahnte ihn Kallik.
»Stimmt aber«, erwiderte Taqqiq trotzig. »Er hatte doch keine Ahnung, wovon er sprach.«
»Spielt aber auch keine Rolle, ob es ein einzelner Berg ist oder mehrere«, schaltete sich Toklo ein. »Wir folgen sowieso dem Fluss.«
»Qopuk hatte recht!« Kallik rang nach Luft. »Dort ist der Große Fluss!«
Zu Füßen der Berge, orangefarben glitzernd im letzten Licht
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