Seelen der Nacht
Todesschrecken ein.«
Er schüttelte die Sachen aus, und ein kleiner schwarzer Samtbeutel fiel aus den Falten.
Matthew stutzte. »Was ist das?«, fragte er und hob ihn auf. An der Außenseite war eine Nachricht angeheftet. Er öffnete sie. »Von Ysabeau. Das hat mir dein Vater zum Hochzeitstag geschenkt. Ich dachte, du möchtest ihn vielleicht Diana geben. Er sieht zwar altmodisch aus, passt aber gut zu ihrer Hand.«
In dem Beutel lag ein Ring, der aus drei ineinander verschlungenen Goldbändern bestand. Die beiden äußeren Bänder waren zu kunstvollen Ärmeln geschmiedet, die mit Email gefärbt und mit kleinen Juwelen besetzt waren, sodass sie wie bestickt aussahen. Aus jedem Ärmel reckte sich eine Hand, die bis zu den winzigen Knochen, schlanken Sehnen und zierlichen Fingernägeln perfekt herausgearbeitet war.
Die beiden Hände umgriffen einen auf dem mittleren Band sitzenden riesigen Stein, der aussah wie aus Glas. Er war glatt und ohne Facetten geschliffen und in eine goldene Fassung mit schwarzem Hintergrund gesetzt. Allerdings würde kein Juwelier einen Glasklumpen in einen so feinen Ring einsetzen. Es war ein Diamant.
»Der gehört ins Museum, nicht an meinen Finger.« Gebannt blickte ich auf die lebensechten Hände und bemühte mich, nicht abzuschätzen, wie viel der Stein in meiner Hand wiegen mochte.
»Meine Mutter hat ihn ständig getragen.« Matthew nahm ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Sie nannte ihn ihren Kritzelring, weil sie mit der Spitze des Diamanten auf Glas schreiben konnte.« Seine scharfen Augen nahmen ein Detail an dem Ring wahr, das mir entgangen
war. Er drehte kurz an den goldenen Händen, und im nächsten Moment lagen die drei Bänder ausgebreitet in seiner Handfläche. Jedes Band war graviert, die Worte bedeckten die gesamten glatten Innenflächen.
Wir spähten auf die winzigen Buchstaben.
»Es sind Verse – uralte Sprüche, die man als Zeichen seiner Zuneigung schrieb. Hier steht: à ma vie de cær entier. Das ist Altfranzösisch für ›mein ganzes Herz für mein ganzes Leben‹. Und hier steht: mon debut et ma fin , mit einem Alpha und einem Omega versehen.«
Mein Französisch war gut genug, um das zu übersetzen. »Mein Anfang und mein Ende. Und was steht auf dem inneren Band?«
»Das ist auf beiden Seiten graviert.« Matthew las die Zeilen und drehte dabei den Ring in den Händen. »Se souvenir du passe et qu’il ya un avenir. Sich der Vergangenheit erinnern und dass es eine Zukunft gibt.«
»Die Verse treffen genau auf uns zu.« Es war gespenstisch, dass Philippe vor so vielen Jahren Zeilen für Ysabeau ausgewählt hatte, die auch auf Matthew und mich zutrafen.
»Vampire sind auch so etwas wie Zeitreisende.« Matthew setzte den Ring wieder zusammen. Er nahm meine linke Hand und wandte den Blick ab, als würde er sich vor meiner Reaktion fürchten. »Wirst du ihn tragen?«
Ich legte einen Finger an sein Kinn, drehte sein Gesicht zu mir her und nickte, weil mir die Worte fehlten. Unsicher sah Matthew auf meine Hand, die er immer noch in seiner hielt. Er schob den Ring ein kleines Stück über meinen Daumen.
»Mit diesem Ring nehme ich dich zum Weib, und mein Körper soll dich ehren.« Matthews Stimme klang ruhig und zitterte nur ganz leicht. Er zog den Ring wieder ab und schob ihn auf meinen Zeigefinger bis knapp über das Gelenk. »Mit all meinen weltlichen Gütern werde ich dich beschenken.« Der Ring schwebte über den Mittelfinger hinweg und rutschte dann tief auf den Ringfinger meiner linken Hand. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Er hob meine Hand an seinen Mund und sah mich wieder
an, während seine kalten Lippen den Ring in meine Haut drückten. »Amen.«
»Amen«, wiederholte ich. »Damit sind wir jetzt in den Augen aller Vampire und gemäß kirchlichem Recht Mann und Frau.« Der Ring wog schwer an meiner Hand, aber Ysabeau hatte recht. Er stand mir wirklich.
»Und hoffentlich vor deinen Augen.« Matthew klang unsicher.
»Natürlich sind wir in meinen Augen verheiratet.« Offenbar sah man mir an, wie glücklich ich war, denn sein Lächeln war so offen und gefühlvoll, wie ich es bei ihm kaum je gesehen hatte.
»Mal sehen, ob Maman uns noch mehr Überraschungen beschert hat.« Er beugte sich wieder über die Aktentasche und zog ein paar Bücher heraus. Dazu eine weitere Nachricht, ebenfalls von Ysabeau.
»Dies sind die Handschriften, nach denen du gefragt hast«, las Matthew vor. »Ich habe sie beigelegt – nur
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