Seelen der Nacht
meisten ging mir jedoch zu Herzen, wie er eine Feenprinzessin mit riesigen Flügeln und Gazekleid tröstete. Die Kleine war so aufgeregt und erschöpft vom Bonbonsammeln, dass sie in Tränen ausbrach, sobald Matthew sie fragte, welche Süßigkeit sie haben wollte. Ihr Bruder, ein schneidiger junger Pirat von sechs Jahren, ließ entsetzt ihre Hand los.
»Wir fragen am besten eure Mutter.« Matthew hob die kleine Fee auf seinen Arm und nahm den Piraten hinten an seinem Kopftuch. Dann übergab er beide Kinder den geduldig wartenden Eltern. Doch schon auf halbem Weg hatte die Fee ihre Tränen vergessen. Stattdessen hatte sie eine klebrige Hand in Matthews Pulloverkragen vergraben und klopfte ihm mit ihrem Zauberstab auf den Kopf, wobei sie immer wieder »Bippity, boppity, BOO!« rief.
»Wenn sie mal groß ist und von einem Märchenprinzen träumt, wird er garantiert so aussehen wie du«, erklärte ich ihm, als er wieder im Haus war. Er beugte sich vor, um mich zu küssen, und ein silberner Glitzerschauer ergoss sich aus seinem Haar. »Du bist mit Feenstaub bedeckt«, sagte ich lachend und wischte ihm kurz über den Scheitel.
Als gegen acht Uhr die kleinen Feen und Piraten allmählich von Gothic-Teenagern mit schwarz geschminkten Lippen, Lederkleidung und rasselnden Ketten verdrängt wurden, überließ Matthew mir den Süßigkeitenkorb und verzog sich in die Wohnstube.
»Feigling«, zog ich ihn auf und rückte meinen Hut gerade, bevor ich mich der nächsten düsteren Horde stellte.
Kurz bevor es spät genug war, das Licht auf der Veranda zu löschen, ohne dadurch den Halloweenruf der Bishops zu ruinieren, hörten wir
noch jemanden wütend gegen die Tür klopfen und laut: »Süßes oder Saures!« bellen.
»Wer kann das noch sein?«, stöhnte ich und drückte mir den Hut aufs Haupt.
Auf der Veranda standen zwei junge Zauberer. Der eine war unser Zeitungsjunge. Er wurde von einem schlaksigen Teenager mit Pickeln und Nasenpiercing begleitet, der, so entsann ich mich düster, zur Sippe der O’Neils gehörte. Ihre Kostüme, wenn man sie denn so bezeichnen wollte, bestanden aus zerrissenen Jeans, T-Shirts mit Sicherheitsnadeln, falschen Blutflecken, Plastikzähnen und langen Hundeleinen.
»Bist du nicht ein bisschen zu alt für so was, Sammy?«
»Ich heiß’ jetzt Tham.« Sammys Stimme kippte zwischendurch nach oben oder unten weg, und mit seiner Fangzahnprothese konnte er nur mühsam lispeln.
»Hallo, Sam.« Unten im Korb lag noch eine Handvoll Süßigkeiten. »Ihr könnt den Rest haben. Wir wollten gerade das Licht ausmachen. Wieso seid ihr eigentlich nicht bei den Hunters und fischt nach Äpfeln?«
»Weil wir gehört haben, dass ihr dietheth Jahr die coolthten Kürbithe habt.« Sammy trat von einem Fuß auf den anderen. »Und, äh, altho …« Er wurde rot und nahm das Plastikgebiss heraus. »Rob hat geschworen, dass er hier neulich einen Vampir gesehen hat. Ich hab mit ihm um einen Zwanziger gewettet, dass die Bishops keinen Vampir in ihr Haus lassen würden.«
»Wieso bist du so sicher, dass du einen Vampir erkennen würdest?«
In diesem Moment trat der fragliche Vampir aus der Wohnstube und blieb hinter mir stehen. »Gentlemen«, sagte er ruhig. Zwei Teenagerkinnladen klappten nach unten.
»Weil wir entweder Menschen oder voll blöd sein müssten, um ihn nicht zu erkennen«, erklärte Rob ehrfürchtig. »Sie sind der größte Vampir, der mir je begegnet ist.«
»Cool.« Sammy grinste von einem Ohr zum anderen. Er klatschte seinen Freund ab und griff sich die Süßigkeiten.
»Vergiss nicht, deinen Freund auszuzahlen, Sam«, ermahnte ich ihn streng.
»Und, Samuel«, sagte Matthew mit ungewöhnlich starkem französischem Akzent, »könnte ich dich bitten – als persönlichen Gefallen –, niemandem hiervon zu erzählen?«
»Niemals?« Sammy war fassungslos, dass er diese saftige Neuigkeit für sich behalten sollte.
Matthews Mund zuckte. »Nein. Ich kann dich verstehen. Kannst du wenigstens bis morgen still sein?«
»Klar doch!« Sammy nickte und sah Rob an. »Das sind nur noch drei Stunden. So lange halten wir dicht. Kein Problem.«
Sie stiegen auf ihre Räder und verschwanden.
»Die Straßen sind dunkel.« Matthew sah ihnen besorgt nach. »Wir sollten sie fahren.«
»Ihnen passiert schon nichts. Sie sind zwar keine Vampire, aber sie finden eindeutig in den Ort zurück.«
Die beiden Räder bremsten so abrupt, dass der Schotter aufwirbelte.
»Sollen wir die Kürbisse ausmachen?«, rief Sammy
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