Seelen
konnte ich mein Glück nicht weiter herausfordern. Leise schloss ich die Schränke und schob meine Arme durch die Riemen des Rucksacks. Ich lehnte mich an die Liege, wobei es wieder raschelte, und versuchte, entspannt auszusehen.
Sie kam nicht zurück.
Ich sah auf die Uhr. Sie war seit einer Minute weg. Von wo holte sie bloß das Wasser?
Zwei Minuten.
Drei Minuten.
Waren meine Lügen in ihren Augen genauso offensichtlich gewesen wie in meinen?
Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich wischte ihn schnell weg.
Was, wenn sie mit einem Sucher zurückkam?
Ich dachte an die kleine Kapsel in meiner Tasche, und meine Hände zitterten. Aber ich wäre dazu in der Lage. Für Jamie.
Dann hörte ich leise Schritte, zwei Paar, die den Flur entlangkamen.
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G eglückt
H eilerin Knits Fire und Cerulean traten gemeinsam durch die Tür. Die Heilerin reichte mir ein großes Glas Wasser. Es fühlte sich nicht so kalt an wie das erste - meine Finger waren jetzt eiskalt vor Angst. Die dunkelhäutige Frau hatte auch etwas für mich. Sie gab mir ein flaches Rechteck mit einem Griff.
»Ich dachte, Sie wollten vielleicht mal gucken«, sagte Knits Fire mit einem warmen Lächeln.
Meine Anspannung löste sich. Da war weder ein Verdacht noch Angst. Nur die Freundlichkeit von Seelen, die ihr Leben dem Heilen gewidmet hatten.
Cerulean hatte mir einen Spiegel gegeben.
Ich hob ihn hoch und versuchte mein Keuchen zu unterdrücken.
Mein Gesicht sah so aus, wie ich es aus San Diego in Erinnerung hatte. Das Gesicht, das ich dort für selbstverständlich gehalten hatte. Die Haut über meinem rechten Wangenknochen war glatt und pfirsichfarben. Bei genauerem Hinsehen schien sie nur ein kleines bisschen heller und rosafarbener als die gebräunte Haut auf der anderen Wange.
Es war ein Gesicht, das zu Wanderer, der Seele, gehörte. Es gehörte hierhin, an diesen zivilisierten Ort, wo es weder Gewalt noch Schrecken gab.
Mir wurde klar, warum es so leicht war, diese freundlichen Wesen anzulügen. Weil es sich gut anfühlte, mit ihnen zu reden, weil ich ihre Kommunikationsformen und ihre Regeln verstand. Die Lügen könnten … sollten vielleicht sogar wahr sein. Ich sollte eigentlich irgendwo meiner Berufung nachgehen, ob ich nun an der Universität unterrichtete oder Essen in einem Restaurant servierte. Ein friedliches, einfaches Leben, in dem ich meinen Beitrag zu einem größeren Ganzen leisten konnte.
»Wie finden Sie es?«, fragte die Heilerin.
»Ich sehe völlig geheilt aus. Danke.«
»Es war mir ein Vergnügen.«
Ich sah mich wieder an und bemerkte Einzelheiten hinter all der Perfektion. Mein Haar war struppig - schmutzig, mit ausgefransten Spitzen. Es war stumpf- dafür waren die selbstgemachte Seife und die schlechte Ernährung verantwortlich. Das Blut auf meinem Hals hatte die Heilerin zwar abgewischt, aber er war noch immer voller rötlichem Staub.
»Ich glaube, es wird Zeit, dass ich meine Campingtour abbreche. Ich brauche ein Bad«, murmelte ich.
»Gehen Sie oft campen?«
»In letzter Zeit sooft ich dazu komme. Die Wüste übt eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich aus.«
»Sie müssen ganz schön mutig sein. Ich finde die Stadt deutlich angenehmer.«
»Nicht mutig - nur anders.«
Im Spiegel sah ich meine vertrauten grünbraunen Augen. Dunkelgrau am äußeren Rand, ein moosgrüner Ring und dann noch ein karamellbrauner Ring um die Pupille. Dahinter ein schwacher Silberschimmer, der das Licht reflektierte, es verstärkte …
Jamie? , drängte Mel, die langsam nervös wurde. Ich fühlte mich hier zu wohl. Sie konnte den Reiz des anderen Wegs, der vor mir lag, spüren, und das machte ihr Angst.
Ich weiß, wer ich bin, erklärte ich ihr.
Ich blinzelte und wandte mich dann wieder den freundlichen Gesichtern neben mir zu.
»Danke schön«, sagte ich noch einmal zu der Heilerin. »Ich denke, ich gehe dann mal wieder.«
»Es ist sehr spät. Sie können auch hier schlafen, wenn Sie möchten.«
»Ich bin nicht müde. Ich fühle mich … wunderbar.«
Die Heilerin grinste. »Das ist das Schmerzlos .«
Cerulean begleitete mich zum Empfang. Sie legte mir die Hand auf die Schulter, als ich hinaustrat.
Mein Herz schlug schneller. Hatte sie bemerkt, dass mein vorher flacher Rucksack jetzt ausgebeult war?
»Geben Sie besser auf sich Acht, Liebes«, sagte sie und tätschelte meinen Arm.
»Das werde ich. Keine Nachtwanderungen mehr.«
Sie lächelte und ging zurück zu ihrem Schreibtisch.
Ich ging gemessenen Schrittes über
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