Seelenangst
sein Ebenbild erschaffen und es zur Krone der Schöpfung erkoren hatte? Wie passte die Existenz der Hölle zu einem lieben Gott?
Don Tomasso eilte die Treppen zum Großen Auditorium hinauf. Der Mann, der gleich den Vortrag halten würde, würde einiges zu dem Thema zu sagen haben. Es war ein Mann, den Tomasso besser kannte als alle anderen. Ein Mann, der zu den einflussreichsten, aber auch unheimlichsten Gestalten nicht nur des Vatikans, sondern der gesamten Ewigen Stadt zählte. Ein Mann, dessen Privatsekretär Don Tomasso war.
6
Zum Teufel , dachte Franco Gayo und rüttelte an der Tür. Heute funktioniert aber auch gar nichts!
Er versuchte den Notausgang. Ebenfalls verschlossen. Er tippte noch einmal auf seinen BlackBerry. Noch immer nichts. Der Telefonanschluss aus, kein Handyempfang, die Türen verriegelt …
Vielleicht legt jemand es darauf an. Vielleicht will jemand dich hier einsperren?
Er versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen, doch er kroch an die Oberfläche seines Bewusstseins, langsam, bedrohlich, unaufhaltsam.
Aber warum? Will irgendein neidischer Scheißkerl verhindern, dass ich zu meinen Auftritten komme?
Aber die waren erst nächste Woche.
Vielleicht will dieser Jemand etwas ganz anderes.
Mit einem Mal kam es ihm vor, als würden Wände und Decke sich langsam auf ihn zubewegen. Die afrikanischen Skulpturen erschienen ihm plötzlich wie riesige Zähne in einem gigantischen Maul, als wären Decke und Boden Ober- und Unterkiefer, die ihn in der nächsten Sekunde zermalmen würden.
Schrei nicht, wehrte er sich gegen die aufkeimende Panik. Schrei bloß nicht. Wenn du schreist, wird alles nur schlimmer.
Er wusste, jeder Schrei, jede Panikattacke, jeder Schlag gegen die Wand würde sich selbst verstärken, bis er nur noch ein sabberndes Nervenbündel war. Und wer immer ihn hier eingesperrt haben wollte, hätte am Ende gewonnen.
Er lauschte in die Stille.
Nichts.
Sei nicht albern, versuchte er sich zu beruhigen, das klärt sich alles. Gleich rufst du den Hausmeister und …
In diesem Moment hörte er das Lachen. Kurz, abgehackt. Und irgendwie mechanisch.
Scharf zog er die Luft durch die Zähne ein und ballte die Fäuste, dass die Knöchel hervortraten, während vom Magen aus ein stechender Schmerz durch seinen ganzen Körper jagte.
Dann wieder Stille.
Gayo blickte sich um. Das Lachen kam aus dem Vorzimmer, das er gerade eben durchquert hatte. Er ging zurück, griff sich vom Tisch seiner Sekretärin einen Kugelschreiber. Falls jemand hinter der Tür stand, würde er ihm das Ding ins Auge rammen. Er würde …
Wieder das meckernde Lachen, verzerrt und so, als würde eine Schallplatte zu langsam laufen. Das Geräusch schien aus dem Schrank zu kommen.
Was für ein dämlicher Scherz, dachte Gayo. Irgendein Blödmann hat einen Kassettenrekorder in den Schrank gestellt. Aber wann? Und wieso?
Er schlich sich langsam an den Schrank heran, den Kugelschreiber erhoben, das eine Ende zwischen Ringfinger und kleinem Finger, das andere Ende mit dem Daumen abgestützt, sodass er in alle Richtungen zustechen konnte.
Er holte tief Luft und riss die Schranktür auf. Vor ihm ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher aus den 80ern. Wer hat den hier hingestellt? Der Bildschirm zeigte eine Handpuppe, eine Kasperlefigur. Nur dass die Puppe zwei Hörner hatte. Sollte das den Teufel darstellen? Sehr witzig. Die Puppe wippte hin und her.
Zögernd schob Gayo die Mäntel und Bügel im Schrank beiseite. Aber da war niemand. Natürlich nicht.
Was für ein dämlicher Scherz, dachte er noch einmal und ließ den Kugelschreiber sinken.
In diesem Moment verwischte das Bild. Jetzt sah er eine andere Gestalt. Verschwommen, kaum zu erkennen.
Gayo bewegte sich nach links. Das Bild bewegte sich in die gleiche Richtung. Dann nach rechts. Das Abbild auf dem Bildschirm machte die gleiche Bewegung.
War er das auf dem Bildschirm? Wurde er gefilmt?
Gayo trat näher heran, starrte in das diffuse Flimmern. Doch je näher er kam, desto weniger erkannte er.
Erst als er ein paar Schritte zurücktrat, sah er es. Da schien noch etwas auf dem Bildschirm zu sein. Nicht nur sein eigenes diffuses Abbild, sondern etwas anderes. Und dieses Andere wuchs, richtete sich schemenhaft auf.
Hinter ihm.
Gayo sah den Schatten auf dem Bildschirm, der allmählich größer wurde, und fuhr herum.
Er sah ein Gesicht.
Und dann nichts mehr.
7
Auf dem Gesicht des Kindes spiegelte sich Furcht, als es den fremden Mann mit großen Augen musterte. Den
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