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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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beginnen, und auch wenn er sie nicht selbst halten würde, wollte er in jedem Fall dabei sein.
    Er schritt schneller aus. Seine kraftvollen Bewegungen und die raumgreifenden Schritte ließen erkennen, dass neben den geistigen Exerzitien der Sport eine wichtige Rolle in seinem Leben spielte. Außerdem gehörte er mit 45 Jahren zu den jüngsten Würdenträgern der katholischen Kirche.
    Die elliptische Form des Platzes, den heute überwiegend Touristen bevölkerten und der voller Cafés und Restaurants war, zeugte noch heute davon, dass die Piazza früher ein römischer Zirkus gewesen war, ähnlich wie der Petersplatz im Vatikan. Und so wie auf dem Petersplatz die Apostel Petrus und Paulus hingerichtet worden waren, was ihn zu heiligem Boden und später zum Zentrum der Christenheit gemacht hatte, war auch die Piazza Navona Schauplatz dramatischer Ereignisse und schrecklicher Grausamkeiten gewesen. Kaiser Domitian, Bruder des Titus, der 70 nach Christus Jerusalem dem Erdboden gleichmachen ließ, hatte hier blutige Wagenrennen und Gladiatorenspiele ausgerichtet. Agones wurden diese Spiele genannt. Aus dem griechischen Wort Agonie leitete sich in vielen Sprachen das Wort für Schmerz ab, und aus der Piazza Agones, dem Platz der Schmerzen , wurde schließlich die Piazza Navona.
    Schmerzen, dachte Don Tomasso. Schmerz war oft mit dem Wirken des Bösen verbunden, und dessen Existenz und Beschaffenheit hatte Tomasso sein gesamtes bisheriges Priesterleben hindurch beschäftigt. Denn wenn alles von Gott geschaffen war, dann waren auch das Böse, der Teufel und die Hölle von Gott geschaffen. Alles Böse, aller Schmerz musste somit auch dem Willen Gottes entsprechen.
    Und gab es nicht genug Beweise dafür, auch in den Heiligen Schriften? Gott fügte Schmerz und Leid selbst denen zu, die ihm am liebsten waren. »Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären« , hatte Gott zu Eva gesagt, nachdem sie im Garten Eden den Apfel vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte. Seinen einzigen Sohn Jesus Christus, »eines Wesens mit dem Vater«, wie es im Nizäanischen Glaubensbekenntnis hieß, ließ er geißeln und ans Kreuz nageln.
    Doch musste man das Böse ertragen, musste man es hinnehmen, nur weil Gott die Menschen damit geschlagen hatte?
    Trotz seiner relativ jungen Jahre kannte Don Tomasso die meisten Geheimnisse der Heiligen Stadt und auch die kleinen und großen Ränkespiele hinter den Kulissen des Heiligen Stuhles. Er wusste, dass es insgesamt drei Päpste gab, nicht nur einen. Da war zunächst der weiße Papst – der, den die Welt kannte. Der rote Papst war der praefectus propaganda fide, der Präfekt für die Evangelisierung der Völker und einer der mächtigsten Männer der Kirche. Der schwarze Papst schließlich war der Generalobere des Jesuitenordens.
    Eigentlich fehlt sogar noch einer , dachte Don Tomasso, als er am Vierströmebrunnen vorübereilte und sich vor ihm bereits das Dach der päpstlichen Universität an der Piazza di Sant’Appolinare erhob. Es handelte sich um den Prälaten und Bischof der »Prälatur vom Heiligen Kreuz und Werk Gottes«, kurz Opus Dei. Obwohl eine der jüngsten Gründungen der katholischen Kirche, war das Opus Dei eine der mächtigsten und einflussreichsten Organisationen. »Wir können nur mit Steinen werfen«, hatte einmal ein Mitglied einer katholischen italienischen Laienorganisation gesagt, »die Panzer hat das Opus Dei.«
    Die Universität, zu der Don Tomasso unterwegs war, die Pontifica Università della Santa Croce, die päpstliche Universität vom Heiligen Kreuz, war ebenfalls im Jahre 1984 vom Opus Dei gestiftet worden. Viele warfen der Organisation vor, mittelalterliche Ansichten zu hegen, doch der Wind hatte sich gedreht. »Nicht mehr lange, und der Feind ist übermächtig«, sagte man im Vatikan. »Man muss ihn bekämpfen, bevor er die Überhand gewinnt.«
    Der Feind , dachte Don Tomasso. Das war der Satan. Der Antichrist. Doch war er Teil von Gottes Plan oder der ewige Widersacher, der so mächtig war, dass er sich selbst dem Willen des allmächtigen Gottes entziehen konnte?
    Tomasso dachte an den Abschnitt über das Böse aus der Summa Theologica des Thomas von Aquin. Zwei Dinge sprechen gegen Gott, hatte der heilige Thomas in seiner berühmten Schrift dargelegt. Zum einen die scheinbare Fähigkeit der Naturwissenschaften, alles Geschehen auf der Welt ohne Gott erklären zu können. Zum anderen die Existenz des Bösen. Denn wie passte die Existenz des Bösen zu einem Gott, der im Menschen

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