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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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geschaut …«
    Er wartete, bis seine Worte angekommen waren.
    Â»Warum ist Neda ausgerechnet an diesem Tag zu mir ins Fernsehen gekommen? Das hat sie nie getan. Und ich – hätte ich nicht mit ihr gehen, sie aufhalten sollen?«
    Â»Nein, du konntest nichts tun«, erwiderte Grischa voll Kummer. »Sie wollte dir einfach sagen, dass sie dich liebt und ohne dich nicht leben kann!«
14
    Er wollte ihn unbedingt sehen. Etwas drängte ihn danach, diesen Mann ächzen zu sehen, seinen Schmerz zu erleben, voller Befriedigung seinen zertrümmerten Körper zu berühren. Er hatte von ihm geträumt als einem Mann von sich entziehender Schönheit, dunkeläugig, mit wildem Haar, das ihm lockig über die Schultern fiel. In seinem Traum saßen Neda und er an seinem Bett. Jordan war bewusst, dass er schlief, und in diesem Schlaf sahen Neda und er einen tief schlafenden Mann, über den hinweg sie sich zärtlich anlächelten und an den Händen hielten. Ja, sie wachten über ihm, hatten sich in dieser Kaffeeschwärze versammelt, um den Mann vor etwas zu bewahren.
    Â»Ihm ist nicht gut«, sagte Neda, »lass uns ihm helfen.« Sie drückte sich an den Schönling, grub ihre feinen Finger in seine Locken und küsste ihn. Leidenschaftlich. Voller Begehren. Wollüstig. Jordan wollte aufschreien und erwachen, die Decke von sich treten, die Membran ihrer Verbundenheit zerreißen, aber er war bewegungsunfähig und unförmig, hatte keine Extremitäten und daher keine Hoffnung, eingreifen zu können. Da hörte er Nedas Stimme zu dem Bettlägrigen sagen: »Da, siehst du, wie er leidet? Er windet sich, leidet, leidet entsetzlich; es ist also alles in Ordnung.«
    Er betrat das Unfallkrankenhaus Pirogov zum ersten Mal. Von außen glich das Krankenhaus einem über der sechsten Etage abgebrochenen Wolkenkratzer, von innen einem Ort, an dem ständig etwas zusammengeflickt wurde. Die Krankenschwestern waren ausnahmslos korpulent, vernachlässigt und ohne Mitgefühl. Irgendwo stöhnte jemand. Vor den Sprechzimmern knubbelten sich die Wartenden, die in ihrer Geduld etwas von Tieren hatten, die ihrem vorbestimmten Los nicht entrinnen konnten. Auf der sechsten Etage roch es nach gereinigtem Mosaikfußboden, mürbem Fleisch und Desinfektionsmittel. Die Flurfenster waren geöffnet, doch durch sie schien keine Luft hereinzuströmen, sondern nur die Abgase von der Kreuzung unten.
    Â»Sie sind sein was?«, fragte ihn die Schwester prüfend.
    Â»Sein Freund«, erwiderte Jordan so unbefangen wie möglich. »Ein sehr enger Freund.«
    Die Schwester erkannte ihn. Sie war jung und hässlich.
    Â»Er ist außer Lebensgefahr«, sagte sie errötend und richtete ihr Häubchen. Auch Krankenschwestern schauen fern …
    Â»Wir haben seine Frau ein Minütchen zu ihm gelassen; er ist ja erst einen Tag hier; aber natürlich erlauben wir Ihnen auch, Genosse Weltschev … Wenn es Ihr Freund ist.«
    Â»Mein bester Freund.« Jordan setzte sein glückliches Lächeln auf, so als sei er auf Sendung.
    Sie suchte ihm die neueste Kittelschürze aus, die, frisch gestärkt, knatterte wie ein Segel. Das Zimmer war vollgestellt mit den Betten Schwerverletzter und ihrem Leid. Eine sterile, zerknitterte Weiße drängte sich dem Auge auf. Alle Männer schwitzten, erinnerten an Akrobaten oder Athleten. Die von ihren hochgestellten Beinen herabhängenden Metallgewichte streckten sie, zerrissen sie langsam und vermittelten das irreale Gefühl eines in Mechanik übersetzten Gleichgewichts von eingegipstem Schweiß und Nichtsein. Die Schwester nickte in Richtung einer Ecke und zeigte mit dem Finger auf ihre Armbanduhr; sie hatte ihm das Versprechen abgenommen, nicht länger als fünf Minuten bei Iwan Iliev zu bleiben.
    Jordan näherte sich, ungeduldig und voller Ekel. Eingegipst bis zur Halskrause, glich der Mann einem gigantischen Kokon. Er konnte ein gewisses Mitleid nicht verhehlen, doch auch das war zwiespältig und verkümmert. Er zog sich einen Stuhl heran, den mitgebrachten Strauß aber behielt er in der Hand, denn er sah im Glas auf dem Nachttisch schon frische rote Nelken stehen.
    Quälend langsam wandte ihm Iliev seinen geschundenen Kopf zu. Jordan erkannte ihn augenblicks, und auch Iliev erkannte ihn sogleich. Er hatte ihn nur einmal auf dem Frühlingsmaskenball bei sich zu Hause gesehen. Der Typ war der Einzige

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