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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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sich. »… ein gewisser Iwan Iliev. Kennen Sie ihn?«
    Â»Nein«, erwiderte Jordan mechanisch.
    Â»Wir haben uns da einmal erkundigt. Iliev ist regstriert als psychisch belastet. Er soll unter einer schweren Phobie leiden, hat Anfälle von Verfolgungswahn. Der Mann liegt jetzt im Unfallkrankenhaus, hat wie durch ein Wunder überlebt. Sie wissen vielleicht: Man hat festgestellt, dass Fahrer sich im letzten Augenblick instinktiv selbst schützen. Ach ja, der Mann ist nicht im Besitz eines Führerscheins.«
    Jordan wurde das Gefühl nicht los, wenn er noch länger in diesem gesichtslosen und schlecht beleuchteten Büro säße, wäre Neda wirklich für immer verloren. Aber – was konnte er tun? Wohin sollte er gehen? Sein Mund war derart trocken, dass seine Zunge wie Schmirgelpapier über den Gaumen rieb. Das Kreuz tat ihm weh, die Zähne. Ein Geschmack im Mund wie bei Zahnfleischbluten. In seiner Nase platzten die Äderchen.
    Die gleichsam um Entschuldigung bittenden Augen des Mannes ihm gegenüber lösten nichts bei ihm aus; immerhin hatte er nun die Wahrheit erfahren. Neda hatte sich mit einem dieser Psychos aus der Gruppe getroffen. Dieses Verrücktsein bei anderen, diese fremde Angst hatten sie magnetisch angezogen. Er musste wieder an dieses hinterhältige Paradox Erich Fromms denken: »In der Liebe verwirklicht sich das Paradox, dass zwei Wesen eins werden, und dabei doch zwei bleiben.« Ganz genau. Die Angst hatte die beiden einander angenähert, sogar der Verfolgungswahn, denn auch Neda hatte über Jahre nicht nur Angst um Jordan gehabt, sondern auch Angst vor ihm. Vor ihm und seiner ungeheuren Popularität, seiner leeren Berühmtheit. Seiner Dreistigkeit, in jedes Haus einzudringen, und seiner Abwesenheit.
    Er konnte sich nicht vorstellen, worüber die beiden gesprochen hatten; er wusste nur, dass sie sich in der Gruppe, in dieser diffusen Ansammlung unscheinbarer Körper, erkannt hatten. Die unbändige Anziehung zwischen zwei gleichermaßen übersehenen, vernachlässigten Wesen, die mit der Angst auf du und du waren, hatte sie derart ergriffen, dass sie das Bedürfnis verspürten, sich abzusondern, herauszutreten aus der hingebungsvollen Gegenwart Grischas mit seinem mystisch alles und alle verbindenden Verstand.
    Aber warum nur, fragte sich Jordan unwillkürlich, Neda und er lebten doch in weitaus größerer Sicherheit als ihre Mitbürger? Womit hatte er ihre unheilbare Entfremdung ausgelöst? Ihre Dutzende von Ehekrächen gingen ihm durch den Kopf, die immer mit Nedas sinnlosem Vorwurf endeten: »An allem bist nur du schuld!« Sie hatte ihre Verachtung für sein notorisch lächelndes Fernsehgesicht auf ihn persönlich übertragen. »Du existierst gar nicht, du tust nur so«, hatte sie ihm einmal gesagt. »Ich lebe mit einem Gespenst, einer Chimäre!« Irgendwo hatte sie recht. Er hatte seinem Ich den Vorzug vor dem »Wir beide« gegeben, und ihre einzige Möglichkeit, bei ihm zu bleiben, dieses Wir zu retten, war gewesen, von ihm zu gehen, restlos und endgültig.
    Nun lag sie mit geschlossenen Augenlidern im Formalindunst irgendeiner Morgue, reingewaschen vom vergossenen Blut und von seiner Schuld; kalt und gerecht lag sie da wie der Tod, mit einem Körper so rein und unschuldig, dass sie sich selbst in der Gegenwart eines anderen Mannes nicht geschämt hätte. Konnte er denn nicht, so wie Jesus Christus, das Unmögliche tun und Neda mit dem Wort »Steh auf und wandle!« von den Toten auferwecken? Nicht wahr, er hatte doch Charisma, hatte Macht über so viele Menschen, war doch Teil der modernen Hybris der Aufgeklärten, den Menschen an die Stelle Gottes zu setzen und ihm jedes Wunder zuzutrauen? Möge ein Wunder geschehen , betete Jordan, nachdem ich heute ganz mahnendes Gewissen war, euch vor dem kommenden Bösen gewarnt habe, erweist mir nun im Gegenzug diese gute Tat!
    Die Wanduhr war ihm so nahe gerückt, als hielte er sie in seiner Hand. Er hatte sich in der Zeit verloren. Manchmal war auch der Schmerz Zeit. Das Ticken der Uhr plitschte durch die Luft und schien auf dem Boden zu zerspritzen wie Tropfen flüssigen Glases. Der Ermittler schwieg wohl schon lange; er schaute ihn nur mit seinen besorgten Augen an.
    Â»Eine letzte Frage, Genosse Weltschev«, brachte er voller Unbehagen heraus, »hatten Sie ernsthafte Konflikte mit Ihrer Ehefrau?«
    Â»Ich

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