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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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gewesen, der unmaskiert gekommen war. Vielleicht sah sein Gesicht deshalb so unscheinbar aus. Er hatte jedenfalls nichts von einem Verrückten an sich, auch nicht von einem Paranoiker. Er glich eher einem Nagetier, das sich in sein Loch verkrochen hatte und von dort ängstlich herausschaute. Er hatte sich unauffällig an den Tisch mit den Häppchen und mit der Musikanlage gestellt – und schwitzte. Nicht etwa nur auf der Stirn oder unter den Armen, sondern mit dem ganzen Körper, seiner ganzen Unscheinbarkeit, seiner Niedergeschlagenheit und sprachlos machenden Belanglosigkeit. Genau wie jetzt. Jordan hatte er damals leid getan. Als guter Gastgeber war er zu ihm gegangen, hatte ihm einen Drink eingeschüttet, und der so mit Aufmerksamkeit Bedachte, beflügelt von seiner Nähe, erzählte ihm, dass er Zahntechniker sei und Prothesen mache. »Sie haben sehr schöne Zähne, Genosse Weltschev«, hatte er enttäuscht, ja, frustriert gesagt, »fast so, als hätte ich sie Ihnen gemacht.« Er hatte sich noch nicht einmal den Namen dieses Iwan Soundso gemerkt, wusste noch nicht einmal, wie der eigentlich auf ihre Party geraten war. Neda hatte ihm weisgemacht, er sei ein ehemaliger Mitschüler. Vor lauter Verlegenheit und Mangel an Selbstbewusstsein hatte dieses Nagetier ein Schnittchen nach dem anderen geknabbert und sich nach einem jeden den Mund wohlerzogen mit einer Serviette abgewischt. Er schaute den Leuten nicht in die Augen, sondern auf die Zähne, und um mit seinem Minderwertigkeitsgefühl irgendwie fertigzuwerden, war er sichtlich bereit, sich bei jedem mit seinem handwerklichen Geschick anzubiedern. Gospodinov, sein Chef, war im Kostüm eines Araberscheichs erschienen und drückte den anwesenden Damen falsche Dollars in die Hand, die er aus der Requisite der Fernsehbühne genommen hatte. Drei Mädels aus dem Team Jordans hatten sich als Hofdamen zurechtgemacht, die übrigen als Hafendirnen. Zwischen dieser herrlich mondänen Geschmacklosigkeit stand nun Iwan mit seinem Silberstreifenanzug und roch nach guter Stube, Mottenpulver und schlechten Zähnen.
    Jetzt konnte er sich nicht aus der harten, kalkweißen Verschalung befreien, aber Jordan spürte, wie er sich wand und mit seinem eidechsenweichen Fleisch gegen den Gips rieb. Panisch wie ein Nagetier, dem man das Loch zuschüttete. Er leckte sich über die Lippen, anscheinend tat ihm alles weh. Seine Stimme aber war überraschend klar und kräftig, so als käme sie von einem anderen Menschen.
    Â»Es tut mir leid …«
    Jordan fragte zurück: »Warum hast du ihr das angetan, hm? Neda war so fragil.«
    Â»Ich hab sie geliebt wie eine Schwester.«
    Â»Wenn du sie geliebt hast wie eine Schwester, warum bist du nicht selber gegen den Laternenmast gedonnert, he? Sie hat dich sicher auch wie einen Bruder geliebt, was?«
    Â»Zwischen uns war nichts. Absolut nichts.«
    Warum zog er ihm eigentlich nicht das Kopfkissen unter dem Kopf weg und drückte es ihm aufs Gesicht, bis er an seiner Schuld erstickt war? Die Erstickungskrämpfe würden ja dank der starren Gipshülle unsichtbar bleiben.
    Â»Ich bin nicht gekommen, um dich zu beschuldigen«, sagte Jordan, noch ganz im Banne seiner Mordsidee, »ich möchte einfach nur begreifen: warum?«
    Â»Wir haben uns einmal in der Woche getroffen und fast die ganze Zeit über dich gesprochen.«
    Â»Schau an, wie schmeichelhaft.«
    Â»Im Stillen Winkel …«, begann er, dann reichte ihm plötzlich die Kraft nicht mehr und Jordan musste sich vorbeugen, um sein ächzendes Flüstern zu hören, »… sagte sie einmal, du seist nicht so einer! «
    Â»Was für einer?«
    Â»Neda hat sich nie genauer ausgedrückt …« Seine Artikulation wurde völlig unverständlich, so als hätte er seine ganze Luft verbraucht und könnte seine Stimmbänder nicht mehr in Schwingungen versetzen. Jordan hasste ihn, vor allem seine Hilflosigkeit, den Speichel um seinen Mund, seine Schmerzen, die Jordan der Möglichkeit beraubten, ihm welche zuzufügen. Erlaubt war ihm einzig und allein, ihn zu schonen, und das wusste der Vergipste nur zu gut.
    Â»Ich bin nicht – was?«
    Â»So ein vom Glück Berauschter!«
    Â»Du Nichts«, zischte Jordan zwischen den Zähnen, »du eingegipster Schimmelpilz, du stinkende Kanalratte, du widerlicher, durchschnittlicher, elender Bekloppter!«
    Diese

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