Seelenasche
hatte keinerlei Konflikte mit ihr«, erwiderte Jordan im Brustton der Ãberzeugung und stand auf.
13
Das Licht störte ihn; es war grell und irgendwie stickig. Das Wohnzimmer vollgestellt mit zwei Kanapees, einem wackligen Couchtisch und nachlässig zurechtgekloppten Wandregalbrettern, die vor Büchern überquollen. Der Webteppich war ausgebleicht, die Fransen an seinen Schmalseiten abgeschnitten. In dieser Wohnung gab es nichts Exzentrisches oder sonstwie Ungewöhnliches, der König Zufall hatte bei der Zusammenstellung der beinahe armseligen Einrichtung regiert â mit Ausnahme des Blücher-Flügels. Das Parkett, auf dem dieser festlich glänzende Klangkörper stand, war abgewetzt und hätte längst geschliffen werden müssen, ein englischsprachiges Lehrbuch für Akupunktur lag da, aufgeschlagen auf Seite 123. Es roch nicht nach Arztpraxis, nicht nach Wahnsinn, nicht nach Ergebung ins Unabänderliche, sondern nach scharfen Paprikaschoten und Auberginen, die wohl Teil eines pikanten Essens werden sollten.
Jordan staunte über sich selbst, wie viele Einzelheiten er wahr- und aufzunehmen vermochte. Sein Bewusstsein war in kleine Bruchstücke zerfallen, das die Bilder von der Welt zusammensetzte wie ein Kaleidoskop. Er empfand nichts, nicht einmal Hass auf Grischa. Andrea servierte eine Flasche fassgereiften Traubenschnaps, der die Farbe von Apfelessig hatte und mit Kräutern versetzt zu sein schien. An ihren Gesichtsausdruck konnte er sich nicht erinnern; vermutlich setzte er sich aus weiblicher Sanftheit und Mitgefühl zusammen.
»Soll ich euch ein Kotelett machen?«
»Lass uns einfach nur allein«, bat Grischa.
»Ich bin restlos erledigt«, sagte Jordan. »Hatte einen schweren Tag heute.«
»Ich weià ⦠Wir haben uns deinen Runden Tisch angeschaut. Das war deine bisher stärkste Sendung.«
»Die Anerkennung eines Psychiaters erfüllt mich mit â¦Â«
»Du hast nicht versucht, irgendjemandem zu gefallen. Tu es doch jetzt auch nicht!«
»Mir ist schlecht, es geht mir nicht gut.«
»Ich weiÃ.«
»Es schmerzt mich nicht, ich fühle mich einfach nur erbärmlich und widerlich ⦠weil sie mich verlassen hat.«
»Für immer verlassen hat«, korrigierte ihn Grischa.
Er zündete sich eine von Jordans Zigaretten an, inhalierte tief, aber ohne Genuss und drückte sie sofort wieder im Aschenbecher aus.
»Ich bin völlig ratlos, Neda hatte doch alles.«
»Mag sein, aber sie sehnte sich eben nach dir.«
»Ich war aufmerksam, treu, wir hatten ein schönes Zuhause, ein wundervolles Kind â¦Â«
»Neda hatte Angst davor, allein zu sein, immer nur zu warten. Sie hat erzählt, dass dieses Warten, diese Ungewissheit, wann du kommst, sie zermürbt. Sogar wenn du zu Hause warst, wartete sie noch auf dich.«
»Ich hatte zu tun.«
»Wir haben alle zu tun, aber â¦Â«
»Jeder meiner Erfolge hat sie geärgert und aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie wollte mir meine Erfolgserlebnisse nehmen.«
»Nicht deine Erfolgserlebnisse, sondern dein Paradieren damit; nicht den Erfolg, sondern dass du Erfolg hattest auf ihre Kosten.«
»Du findest also, Erfolg sei etwas Unanständiges, das man verstecken müsse wie das Liebemachen?«
»Nicht ich, Neda dachte so â¦Â«
Jordan trank von seinem Schnaps, wischte sich den Mund mit der Handfläche ab und spürte, wie die schrecklichste aller Fragen hochkam:
»Findest du, ich sollte sie hassen?«
»Nein, nein«, lächelte Grischa bekümmert, »aber du solltest begreifen, dass dieser Unfall zufällig geschehen ist, und nicht, um dich zu bestrafen! Du gibst dir dafür die Schuld, und das ist gemein â jetzt, wo sie sich nicht mehr rechtfertigen kann. Gib ihr die Freiheit â¦Â« Er wagte nicht, den Satz zu vollenden mit: »⦠für immer zu gehen.«
»Wie konnte ich nur ⦠Sie hat mich im Sender aufgesucht.«
»Ist doch klar, dass du in einigen Dingen Egoist sein musst. Versteh endlich, dass nicht du, sondern Neda allein die Schuld trägt. Sie war mit einem anderen Mann zusammen, bedauerlicherweise einem meiner Patienten.«
Sein Schuldgefühl war ihm in diesem Moment so stark anzusehen, als wäre es eine Skulptur. Eine hochgespannte Hilflosigkeit hinderte den Psychiater, ihm zu helfen, mit ihm umzugehen wie ein Fachmann mit einem Fachproblem.
»Ich habe
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