Seelenflüstern (German Edition)
Haar in meinem Nacken und zog mich an sich. Seine Lippen waren genauso warm wie seine Hände. »Happy Birthday, Babe.«
Sein Kuss wurde intensiver. Ich schloss die Augen. Doch sofort hatte ich wieder dieselben Bilder im Kopf wie zuvor im Wagen. Sie waren wie ständig wiederkehrende lebhafte Erinnerungen. Nur dass ich abgesehen von Dads Grabstein im wirklichen Leben noch nichts von alldem je gesehen hatte. Als dieser Typ eine Sekunde lang vor meinem geistigen Auge auftauchte, zog meine Brust sichseltsam zusammen. So als hätte ich etwas verloren und müsste es dringend wiederfinden. Ich riss die Augen auf.
Zak hörte auf, mich zu küssen. Er musterte mich. »Was ist los?«
»Nichts.«
Er stand auf und schloss den Gitarrenkoffer. »Rede mit mir, Lilian. Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander. Was ist mit dir?«
Ich konnte nicht antworten. Dass ich Stimmen hörte, war schon schlimm genug. Wenn ich ihm nun gestand, dass ich inzwischen zusätzlich auch noch Dinge sah, sagte er es vielleicht meiner Mom. Oder noch schlimmer: Er gab mich auf, und wir waren Geschichte. Ein absolut unerträglicher Gedanke.
Als Dad durchgedreht war, hatte ich all meine Freunde verloren. Deshalb hatte es mir auch nichts ausgemacht, nach Galveston zu ziehen, um näher beim Krankenhaus zu sein. Aber noch bevor wir die Umzugskisten ausgepackt hatten, war Dad gestorben. Direkt nach der Beerdigung zogen Mom und ich zurück nach Houston. Zak hatte ebenfalls harte Zeiten hinter sich; er akzeptierte mich, wie ich war. Ihm musste ich nichts vormachen, vor ihm musste ich auch meine Vergangenheit nicht verbergen. Aber Halluzinationen waren vielleicht doch ein Trennungsgrund.
»Ich vermisse nur Dad so sehr.« Das war nicht gelogen. »Heute ist mein erster Geburtstag nach seinem Tod.« Ich schlang die Finger ineinander, damit ich sie stillhalten konnte.
Zak stemmte die Hände in die Hüften und musterte mich. »Und sonst ist wirklich alles in Ordnung? Du bist so seltsam.« Er setzte sich zu mir und nahm meine Hände.
»Alles klar«, sagte ich. »Ich hatte bloß einen supernervigen Tag und bin nervös.«
Er drückte meine Finger. »Als du gestern das Xanax genommen hattest – haben die Geräusche da aufgehört?«
Ich zog die Beine unter mich und sah ihn an. »Ja.«
»Hast du es schon bei den Stimmen versucht?«
»Nein.«
»Ist noch was da von dem Zeug?«
Ich nickte. »In Moms Arzneischrank steht ein halb volles Röhrchen.« Mom hatte die Tabletten während Dads Krankenhausaufenthalt fast wie Bonbons eingeworfen. Aber seit unserem Umzug rührte sie sie nicht mehr an.
Zak ließ meine Hände los und folgte mir hinauf in das Badezimmer, das Mom und ich gemeinsam benutzten. Ganz hinten im Arzneischrank stand das Xanax-Fläschchen. »Bei Spannungen und Angstzuständen nach ärztlicher Anweisung einnehmen«, stand auf dem Etikett.
Ich war zu allem bereit, wenn nur das Gruselkind dann den Mund hielt. Ich biss eine der länglichen weißen Tabletten an der ersten Einkerbung durch, hielt den Mund unter den laufenden Wasserhahn und schluckte ein Viertel. Zak nahm mir den Rest ab, ließ ihn zurück in das Glasfläschchen fallen und drückte es mir in die Hand. »Behalte das Zeug bei dir, Lilian. Falls es noch mal passiert.« Er strich mir meine Haare hinter die Schulter. »Hoffen wir, dass die Sache damit erledigt ist. Ich mache mir Sorgen um dich.« Sanft zog er mich an sich und streichelte mein Haar.
Sorgen machte ich mir auch. Die Halluzinationen waren der nächste Schritt auf dem Weg Richtung Wahnsinn. Ich schloss die Augen, weil ich sehen wollte, was passieren würde. Sofort waren die Friedhofsbilder wieder da. Plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte.
»Zak«, sagte ich. »Hilfst du mir? Es gibt etwas, das ich unbedingt machen muss.«
D R E I
U m die Stäbe des schmiedeeisernen Friedhofstores war eine dicke, mit einem rostigen Vorhängeschloss gesicherte Kette geschlungen. TOR WIRD BEI EINBRUCH DER DUNKELHEIT GESCHLOSSEN. KEIN ZUTRITT, stand auf dem Schild am Eingang, dessen Farbe schon ziemlich abgeblättert war.
Zak schob erst seinen Gitarrenkoffer durch die Gitterstäbe, dann reichte er mir Dads Gitarre und schwang ein Bein über das Tor. Er sprang neben mich in den knirschenden Kies, schraubte eine Jack-Daniels-Flasche auf und nahm einen Schluck. Währenddessen schickte ich Mom eine SMS. Ich schrieb, ich sei mit Zak unterwegs, und es würde später werden. Das Xanax hatte die Stimme aus meinem Kopf verscheucht, nicht aber das
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