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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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einen anderen Soldaten, packte dessen Gewehr und versuchte verzweifelt, den Lauf nach oben zu halten, als sich der Schuss löste. Er dachte, er hätte ein Kind schreien hören, doch da waren keine Kinder. Er wusste nicht, wo Ana und Alexis steckten, ob sie sich in Sicherheit befanden. Die Soldaten zogen Decken von Kisten und Kästen, und ein Kampf entbrannte über Säcke mit Korn, Büchsen mit Fleisch und Körbe mit Gemüse. Auf dem Dachboden, der sich langsam mit Rauch füllte, standen weitere Kisten. Es überraschte Calder, dass der erbitterte Kampf wegen Weizen und Kartoffeln ausgebrochen war, die man ohne Blutvergießen zwischen allen hätte aufteilen können.
    Die Soldaten fingen an, die Menschen mit den Waffen zu schlagen, woraufhin Calder sich fragte, ob sie Munition sparten. In der Ferne bellte ein Hund. Calder brüllte, dass alle aufhören sollten, doch seine Versuche, Frieden zu stiften, schienen das Chaos nur zu vergrößern. Ein kleiner Hund rannte wild bellend in das Farmhaus, gefolgt von weiteren Bauern, die die Säcke mit Nahrung fallen ließen und sich in den Kampf stürzten.
    Calder erkannte, dass er nichts ausrichten konnte, dennoch versuchte er es weiter. Sie mussten die Waffen senken. Als er sich auf den nächsten Revolver stürzte, löste sich ein Schuss, und ein Mann fiel mit einer Hüftwunde zu Boden. Erschrocken über seine Tat trat Calder zurück. Es schien, als könne sie nichts stoppen, bis sich nicht alle gegenseitig umgebracht hatten.
    Eine Laterne fiel von ihrem Haken an der Wand und zerbrach klirrend auf dem Boden, wo der kläffende Hund hin und her lief. Calder sah Ana, die eine Decke von einer der Kisten zog, um die Flammen damit auszuschlagen. Er lief zu ihr und wich dabei einem Gewehrlauf aus. Doch bevor er sie erreichte, hatten die Decke und Anas Ärmel bereits Feuer gefangen. Das Mädchen schrie vor Schmerz, hielt jedoch stur weiter an seinem Vorhaben fest. Calder zog sie an sich und erstickte die Flammen an seinem Mantel. Sie zitterte, und ihre Arme waren rußgeschwärzt. Calder rieb die Schicht von ihrem Handgelenk und untersuchte sie auf Verletzungen. Doch natürlich war ihre Haut weiß und unverletzt.
    Sie traten von dem Feuer zurück, das die Menschen nicht zu bemerken schienen. Das Bauernhaus wirkte wie ein Bild des Fegefeuers aus einem Märchenbuch – wilde, blutunterlaufene Augen, blutige Hände, knirschende Zähne, der rote und schwarze Tanz des Höllenfeuers. Der Hund hörte auf zu bellen und sah mit aufgestellten Ohren zu dem Loch in der Hauswand.
    »Aufhören!«
    Calders Herz wäre beinahe stehen geblieben. Die Stimme gehörte Alexis.
    Licht drang durch die zerbrochene Mauer – nicht die Morgendämmerung, auch nicht das Glühen des Feuers. Alexis saß auf dem Rücken der ungesattelten Stute, eine Hand ausgestreckt. Mit nacktem Oberkörper und so hell strahlend wie die Sonne rief er der Menge zu: »Wenn ihr mich hört, dann gehorcht mir! Hände hoch!«
    Alexis glühte am ganzen Körper, und es war unbestreitbar ein beeindruckender Anblick – ungewöhnlich und wundersam. Köpfe schossen in die Höhe, doch die überraschten Ausrufe der Leute gingen im Geschützfeuer unter. Jeder, der eine Waffe hielt, Soldat wie Zivilist, drehte sich um und feuerte. Alexis’ Körper wurde nach hinten geschleudert, die Stute bäumte sich auf. Der Junge stöhnte vor Schmerz, klammerte sich jedoch unbeirrt an der Mähne des Pferdes fest, das sich in Panik herumwarf. Ana wollte zu ihrem Bruder laufen, doch Calder hielt sie zurück. Die Menge schrie nun vor Angst, denn der strahlende Junge auf dem Rücken des Tieres saß hochaufgerichtet da und streckte eine Hand in den Himmel. Die Kugeln hatten ihn nicht verletzt.
    Die Männer, die auf ihn geschossen hatten, senkten die Waffen.
    »Ich bin ein Zeichen, das man euch gesandt hat«, rief Alexis. »Legt die Waffen nieder!«
    Stille. Dann verfiel die Menge in Panik, manche rannten ans andere Ende des Hauses, andere fielen auf die Knie und beteten, wieder andere blieben wie angewurzelt stehen.
    »Horch«, flüsterte Ana.
    Irgendwo weinten Kinder herzzerreißend. Calder sah zum Dach hinauf. In der Ecke, die am weitesten vom Feuer entfernt war, rieselten kleine Rindenstücke herab, und kleine rosa Finger bohrten ein Loch zwischen zwei Balken. Die Frau, die versucht hatte, die Leiter zu erklimmen, hatte sich nicht verstecken oder Nahrung retten wollen. Sie wollte zu ihren Kindern. Die Leiter war nicht nur zerbrochen, sondern brannte. Der Hund

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