Seelenjäger: Die Jagd beginnt (German Edition)
den Abgrund drückte.
Mir wurde schummerig und Luftblasen traten aus meinem Mund aus. Ich hörte auf, mich zu wehren, und ließ mich in die Dunkelheit ziehen. Alles wurde schwarz, ich verlor das Bewusstsein und träumte meinen letzten Traum.
Es fühlte sich an, als würde ich mich in ein weiches Kissen sinken lassen, alles war hell erleuchtet. Die lächelnden Gesichter meiner Eltern erschienen, sie öffneten ihre Münder und flüsterten mir etwas zu. Ich konnte es nicht verstehen, es war, als wären meine Ohren verbunden und ihre Stimmen drangen nur gedämpft an mein Ohr.
Allmählich wurde es dunkler, die Stimmen deutlicher, plötzlich war es nur noch die einzige Stimme eines Jungen.
Ich schlug die Augen auf und blickte in das verschwommene Gesicht des Jungen. Sein Gesicht war verdreckt und er war vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als ich. Jetzt konnte ich seine Stimme ganz deutlich vernehmen.
„Endlich! Ich dachte, du seist tot!“
„Wo …?“ Ich verstummte, als ich meine gurgelnde Stimme hörte. Ich musste erst einmal kräftig husten und spuckte Wasser.
Der Junge wartete, bis ich zu Ende gehustet hatte, dann half er mir, mich aufzurichten.
„Ich habe dich aus dem Wasser gefischt!“ Er klang ganz stolz, dass er mich gerettet hatte. „Ich habe gesehen, wie du die Klippe heruntergestürzt bist, und als du nicht mehr aufgetaucht bist, habe ich dich aus dem Wasser gezogen.“
Noch etwas benommen sah ich ihn an. Er hatte nasses, braunes Haar und freundlich dreinblickende, braune Augen. Seine Lippen zuckten zu einem schiefen Lächeln. Ich bemühte mich vergeblich um ein ebenso nettes Lächeln.
„Ich bin Simon, und wie heißt du?“
„Jaqueline, ich heiße Jaqueline!“ Meine Stimme kehrte langsam wieder vollständig zurück.
„Das ist ein schöner Name“, bemerkte Simon.
„Danke!“, war alles, was ich entgegnete.
Simon half mir, aufzustehen, und gab mir Halt, da ich noch etwas wackelig auf den Beinen stand. Erst jetzt bemerkte ich, dass er mir ein altes Hemd angezogen hatte, da ich mein Kleid im Wasser ja ausgezogen hatte. Schon wieder war ich dankbar.
Ich blickte mich um. Wir standen auf einem mit Kieselsteinen bedeckten Strand, hier und da lagen angeschwemmte Baumstämme und Treibholz. Die nassen Steine glitzerten im schwachen Licht der Sonne, die sich hinter grauen Wolken versteckte. Der Strand grenzte an einen Nadelwald.
Simon ging auf eine Baumgruppe zu und zog mich mit sich. Ein paar Schritte in den Wald hinein und Simon machte vor einem Apfelschimmel halt, den er an einen umgestürzten Baum gebunden hatte. Das Pferd hob seinen Kopf, als es uns bemerkte. Es schaute mich mit treuen Augen an. Simon band es los und machte eine Handbewegung zum Pferd.
Ich brauchte eine Weile, bis ich verstand, dass ich mich auf das Pferd setzen sollte.
Auf dem Rücken des Reittieres lag eine etwas kratzige Decke. Der Stoff fühlte sich abgenutzt an und als sei er nicht gerade von bester Qualität. Doch es genügte.
Simon schwang sich hinter mich auf den Schimmel und trieb ihn an. Und schon wieder glitt ich durchs Unterholz des Waldes.
Wir ritten nicht lange. Schon bald kamen wir auf eine riesige Lichtung, auf der sich ein kleines Dorf befand. Es war nicht so groß wie mein Heimatdorf und es sah auch nicht gerade sauber und reich aus, doch das war mir egal. Ich hatte einen Platz gefunden, wo ich mich ausruhen konnte, vielleicht sogar eine Weile bleiben.
Simon steuerte eine schäbige, kleine Hütte an und stieg vom Pferd. Ich tat es ihm nach. Sobald ich auf dem Boden aufgekommen war, stürzte eine mollige Frau aus der Hütte auf uns zu.
„Simon, wo warst du schon wieder! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Und wer ist das?“, begrüßte sie mich.
„Mutter, es geht mir gut! Und das ist Jaqueline, sie braucht eine Bleibe“, entgegnete ihr Simon.
Das Gesicht der Frau entspannte sich etwas, jetzt war sie bei uns angelangt. Ihre roten Haare standen in alle Richtungen ab, auf der Nase hatte sie, wie ihr Sohn, Sommersprossen. Ihr rundlicher Körper wurde von einem dreckigen Kleid umhüllt. Sie hatte einen strengen und zugleich liebenswürdigen Blick, ich fühlte mich in ihrer Nähe sofort ein wenig sicherer.
„Das ist meine Mutter, Molly!“, stellte Simon sie vor.
Ich lächelte Molly freundlich an. Sofort erstrahlte ihr rotwangiges Gesicht vor Freude. Ein wenig erinnerte sie mich noch an ein Kind.
„Na, kommt erst einmal rein! Ihr seht ja ganz durchgefroren aus!“ Mit diesen Worten schob sie
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