Seelenmoerder
mit der Sonnenbrille vor den Augen vermochte sie nicht zu erkennen, was er dachte. »Warum?«
»Irgendwo musste er ja anfangen.« Abbie sah aus dem Fenster und betrachtete die kleinen, ordentlichen Häuser auf beiden Straßenseiten. »Ein solcher Täter wird nicht
auf einen Schlag zum Experten.« Sie drehte sich wieder zu Robel um und bemerkte, dass er sie nach wie vor musterte. »Vielleicht ist er einmal zu weit gegangen und hat sein Opfer versehentlich umgebracht. Oder es ist irgendetwas schiefgegangen, und er musste eine Frau umbringen, die ihn hätte identifizieren können.«
»Gute Idee.« Es hätte wie ein Kompliment klingen können, wenn es nicht so widerwillig herausgekommen wäre. »Das haben wir schon überprüft. Genau wie etwaige Einbrüche. Alles Fehlanzeige.« Immerhin schien ihre Bemerkung das Eis zwischen ihnen gebrochen zu haben.
»Es wundert mich nicht, dass sich in puncto Einbrüche nichts ergeben hat. Der Kerl ist kein Gelegenheitsvergewaltiger. Ich wette, er bereitet sich minutiös vor und hat alles genau geplant. Sein Ziel ist die Vergewaltigung an sich oder zumindest das Ritual, das er daraus gemacht hat.«
Ryne sah wieder auf die Straße hinaus. »Ich versuche immer noch dahinterzukommen, warum er seine Opfer nicht umbringt. Warum lässt ein Typ mit einem derartigen Frauenhass seine Opfer am Leben und geht das Risiko ein, dass es Zeuginnen gibt?« Er fuhr langsam, um die Hausnummern lesen zu können.
Sie musste sich erst mit der Akte vertraut machen, ehe sie ein Profil des Täters erstellen konnte, den sie jagten. Doch sie wusste, dass Robel etwas anderes von ihr hören wollte. »Kommt auf seine Motivation an. Offenbar braucht er den Tod des Opfers nicht, um weiß Gott welche abartige Perversion in sich zu befriedigen.«
»Vielleicht liegt es am unterschiedlichen Strafmaß. Serienvergewaltiger werden nicht zum Tode verurteilt, nicht einmal in Georgia.«
Abbie schüttelte den Kopf. »Er hat nicht vor, sich jemals schnappen zu lassen, also kümmern ihn die Konsequenzen
nicht. Vielleicht sind sie ihm auf irgendeiner Ebene bewusst, aber nicht in dem Maße, dass sie ihn abschrecken würden.«
»Ich habe früher verdeckt fürs Drogendezernat ermittelt. Eine Weile war ich auch bei den Einbrüchen und ein bisschen länger bei der Mordkommission.« Er hielt vor einem blassblauen Bungalow mit angeschlossenem Carport. Nur ein Auto stand in der Einfahrt. »Ich verstehe die Gründe für solche Straftaten. Gier, Eifersucht, Wut.« Er stellte den Motor aus, setzte die Sonnenbrille ab und klemmte sie wieder an die Sonnenblende. »Aber ich habe es nie geschafft, mich in Vergewaltiger hineinzudenken. Ich weiß, was man braucht, um sie zu fassen, aber ich kann beim besten Willen nicht behaupten, dass ich kapiere, warum sie das tun.«
Das machte ihn Abbie ein bisschen sympathischer. »Also, wenn wir rauskriegen, welche Motive der Kerl hat, sind wir schon auf einem guten Weg, ihn zu fassen.«
»Das ist ja dann wohl Ihr Job.« Robel öffnete die Tür und stieg aus, ehe er sich wieder in den Wagen beugte und sein Sakko herausholte. »Sie kriechen in seinen Kopf und weisen uns den Weg. So hat Dixon es sich doch vorgestellt, oder?« Er knallte die Tür zu, zog die Jacke an und ging vorne herum zur Beifahrerseite.
Als Abbie die Tür aufmachte, schlug ihr sofort die Mittagshitze entgegen. Der Groll in seinen Worten war kaum wahrnehmbar gewesen, doch er war da. Sie verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass in den Kopf des Vergewaltigers zu kriechen genau das war, was sie vorhatte.
Im Grunde war es nur allzu vertrautes Terrain für sie. Sie hatte bereits mehr Jahre, als ihr lieb waren, genau damit zugebracht.
2. Kapitel
Die Klimaanlage in Nancy Billings’ bescheidenem einstöckigem Häuschen sorgte für eine angenehme Raumtemperatur von 21 Grad, doch Barbara Billings schien dies anders zu empfinden. Bekleidet mit Sweatshirt und Sweathose, kauerte sie, in eine Steppdecke gehüllt, in der Ecke einer bunt geblümten Wohnzimmercouch. Ihr Gesicht war nach wie vor geschwollen und voller Blutergüsse, und ihre Lippen waren aufgeplatzt. Sie war noch weniger erfreut über die Ankunft der beiden Ermittler als ihre Mutter.
»Ich habe doch schon mit der Polizei gesprochen«, sagte sie mit tonloser Stimme und blickte dabei über Rynes linke Schulter ins Leere. »Zweimal. Reden Sie nicht mit Ihren Kollegen? Ich habe den anderen bereits alles gesagt, was ich weiß. Machen Sie sich lieber auf die Suche und fassen Sie den
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