Seelenprinz
er dort nicht der Auserwählten begegnet und hätte sich nicht von ihr genährt. Und wären sie sich dort nicht begegnet, hätte Throe sie später nicht rufen und um ihre Dienste bitten können, und sie wäre nicht zu dieser Wiese gekommen… und Xcor hätte niemals in ihre mitfühlenden Augen geblickt.
Und damit einen Teil von sich selbst verloren.
Er war nur ein räudiger, missgestalter, vaterloser Hund, eine Bedrohung der Ordnung, unter der sie lebte, und des Schutzes, der ihr zustand. Er hatte ihre Gabe nicht verdient.
Genauso wenig wie Throe– und das nicht, weil er seinen Rang in der Glymera eingebüßt hatte.
Kein sterblicher Vampir verdiente sie.
Unter dem Baum blieb er stehen und blickte auf die Stelle, an der er vor ihr gelegen hatte… wo sie neben ihm gekniet und sich ins Handgelenk gebissen hatte. Und er hatte den Mund geöffnet, um die Kraft zu empfangen, die nur sie ihm spenden konnte.
Einen Moment lang waren sich ihre Blicke begegnet, und die Zeit war stehen geblieben… dann hatte sie langsam den Arm auf seine Lippen gesenkt.
Ach, diese allzu kurze Berührung.
Er hatte sie für eine Erscheinung gehalten, für ein Gespinst seines verwirrten Geistes, doch als Throe ihn zurück zu ihrem Unterschlupf fuhr, war ihm nach und nach bewusst geworden, dass sie real gewesen war. Sehr real.
Wochen waren verstrichen. Und dann, eines Abends draußen in der Stadt, hatte er sie erspürt und war dem Nachhall ihres Blutes in seinen Adern gefolgt, um sie zu sehen.
In der Zwischenzeit hatte sie die Wahrheit über ihn erfahren: Sie hatte den Blick ins Dunkle gerichtet, direkt in seine Richtung, und ihre Bedrängnis war nur allzu offensichtlich gewesen.
Kurz darauf war jemand in ihren Unterschlupf eingedrungen. Vermutlich mit ihrer Hilfe.
Mit dem nächsten Windstoß begann es wieder zu schneien, dicke Schneeflocken wirbelten durch die Luft, trieben ihm in die Augen.
Wo war sie jetzt?
Im Osten begann die Dämmerung zu leuchten, trotz der Wolkendecke, und seine Augen brannten– also blickte er weiter auf die pfirsichrote Verfärbung am Himmel, um den Schmerz zu fühlen.
Noch nie war er innerlich so zerrissen gewesen. Sein ganzes Leben lang wurde er einzig auf das Überleben trainiert– erst in den Jahren im Kriegerlager, später in der langen Zeit unter dem Bloodletter und dann als Kopf seiner Bande.
Aber die Auserwählte hatte ihn gespalten und einen klaffenden Abgrund hinterlassen.
So, wie sie ihm das Leben geschenkt hatte, hatte sie ihm einen Teil davon genommen, und nun war Xcor ratlos.
Vielleicht sollte er einfach hier stehen bleiben und warten, bis er in Flammen aufging. Es erschien ihm leichter als das Los, das er jetzt zu tragen hatte…
Welches Schicksal hatte sie ergriffen?
Er musste es herausfinden.
Das war genauso wichtig wie sein Streben nach dem Thron.
8
» Also, wo seid ihr die Leichen losgeworden?«, erkundigte sich V, als er aus dem Hinterausgang des Trainingszentrums kam.
Qhuinn wartete, bis John und Blay aus dem Abschleppwagen stiegen, und ließ sie Vs Frage beantworten– dann blickte er durch die Scheibe in die Tiefgarage und spielte mit dem Gedanken, sich einfach auf der Vorderbank auszustrecken und zu schlafen.
Er war so müde, ihm war alles egal.
Doch letztlich tat er es John und Blay gleich und wuchtete seinen müden Hintern aus der Fahrerkabine. Er musste wissen, wie es Layla ging, und das konnte er schlecht von hier aus rausfinden.
Trotz der Reibereien am Straßenrand hatten er, John und Blay zumindest auf dem Heimweg gute Teamarbeit geleistet. Ungefähr zehn Meilen vor der Abzweigung zum Anwesen der Bruderschaft waren sie auf einen Forstweg abgebogen, hatten die beiden Toten ausgezogen und ihre Leichen in einen Bodenkrater geworfen, der so tief war, dass man den Grund nicht sehen konnte. Dann waren sie zurückgestoßen, hatten auf der Straße gewendet und sich aus dem Staub gemacht. Das Verwischen der Spuren überließen sie dem Schnee, der wieder kräftiger fiel, er würde die Fußstapfen bedecken, genauso wie die leuchtend roten Blutflecken. Wenn es weiter so schneite, würde es bis Mittag so aussehen, als wäre nie etwas geschehen.
Schneeflöckchen, Weißröckchen…
Vermutlich sollten ihm die Familien der Toten leidtun– niemand würde je ihre sterblichen Überreste finden. Aber gewisse Anhaltspunkte ließen darauf schließen, dass sich die beiden am Rande der Gesellschaft bewegt hatten, und zwar nicht als friedliebende Hippies: Schusswaffen, Messer, eins
Weitere Kostenlose Bücher